(Bild: Simon Hawemann)
Aristides Guitars haben in den letzten Jahren in der Gitarrenindustrie mit ihren innovativen Designs und Materialien für einige Aufmerksamkeit gesorgt. Materialien, fragt ihr? Die Gitarren von Aristides sind nämlich nicht aus klassischen Hölzern, sondern aus einem Verbundstoff namens Arium gefertigt.
Ich hör schon das skeptische Raunen und die kritischen Fragen. Warum sollte ein Kunststoff bewährten Tonhölzern überlegen sein? Genau mit dieser Frage haben sich ein paar niederländische Wissenschaftler schon Mitte der 90er-Jahre beschäftigt, um nach mehr als einer Dekade die ersten Prototypen einer neuartigen Kunststoffgitarre zu präsentieren. Ihr seht schon, es handelt sich bei Aristides nicht um einen Schnellschuss und vorgegaukelte Innovation, sondern um das Ergebnis langjähriger Forschungsprozesse. Ob die mir vorliegenden 7- und 8-Saiter mit gefächerten Bünden entsprechend überzeugen können, klären wir heute.
Die Suche nach dem perfekten Ton
Bei Aristides fing alles mit dem Untersuchen der Zellstruktur verschiedener hochwertiger Tonhölzer an. Die Herausforderung bestand darin, herauszufinden, wie sich Schallwellen auf molekularer Ebene bei verschiedenen Tonhölzern verhielten, um schließlich das Gelernte in die Kreation des möglichst perfekten Klangmaterials einfließen zu lassen. Und mit ihrem Arium behaupten Aristides, eben dieses entwickelt zu haben.
Ich hatte in den letzten zwei Jahren auf der NAMM schon das Vergnügen, ein paar Aristides Klampfen anspielen zu können. Besonders beeindruckt war ich Anfang diesen Jahres von einer Aristides 060R, die mit ihren Fishman Fluence Classics und durch einen Revv Tube Amp gespielt phänomenal klang – ganz zu schweigen von der tollen Bespielbarkeit. Rein optisch betrachtet war die Gitarre eher nicht meine Baustelle, aber ich musste neidlos anerkennen, dass die sechssaitige Aristides eine wirklich ausgezeichnete Figur machte.
Nun bot sich mir unlängst die Gelegenheit, gleich zwei Extended-Range-Gitarren von Aristides ausführlich zu testen. Mein Freund Paul Ozz ist nämlich im Mai/Juni mit meiner Band Nightmarer als Live-Gitarrist auf Tour gegangen und brachte seine Aristides 080S sowie eine geliehene 070SR mit. So hatte ich vier Wochen lang Zeit, die Gitarren regelmäßig zu spielen und konnte außerdem beobachten, wie sie sich im Touralltag so behaupten konnten.
(Bild: Simon Hawemann)
080S
Paul’s achtsaitige Aristides kommt in einem Chamäleon-Finish daher, das je nach Lichtquelle von metallic rot zu einem satten violett wechselt. Auf der Bühne sieht das gute Stück zwar beinahe schwarz aus, aber im Tageslicht kann man das Finish nur als Augenweide bezeichnen. Aristides haben es sich zum Ziel gemacht, in Sachen Lackierungen wirklich das Beste vom Besten zu liefern, da das eigens entwickelte Klangmaterial zumindest rein optisch natürlich bei Weitem nicht mit der Maserung eines exotischen Holzes mithalten kann.
Ein besonders cleverer Touch ist übrigens der im Gegensatz zum Rest der Gitarre matt lackierte Hals. Besonders auf einer heißen Bühne macht sich das durchaus positiv bemerkbar, da eine Hochglanzlackierung in Verbindung mit Schweiß ja gerne mal zu einer klebrigen Sache werden kann. Die Trennlinien zwischen Glanz- und Mattlackierung sind definitiv rasiermesserscharf und der Übergang fühlt sich trotzdem absolut smooth an.
(Bild: Simon Hawemann)
Hier wurde also nicht nur mitgedacht, sondern auch extrem sauber gearbeitet. Bleiben wir doch gleich bei der Rückseite, auf der ein sehr großzügiges E-Fach in matching Finish den Blick auf die perfektionistische Verkabelung verdeckt. Lediglich ein Edelstahl-Block, durch den die Saiten durch den Korpus geführt werden, unterbricht den ansonsten extrem homogenen Look. Aber auch dieser ist augenscheinlich extrem präzise gefertigt und ansehnlich aufpoliert.
Auf der Vorderseite findet man neben den eigens für Aristides entwickelten Bare-Knuckle-Pickups eine feste Brücke von Hipshot, die an den Winkel der gefächerten Bünde angepasst ist. Dazu spendieren Aristides einen Volumesowie Ton-Regler und einen 5-Wege-Schalter für die verschiedenen Kombinationen der Tonabnehmer. In Sachen Design haben wir es beim Korpus mit einer nicht zu aggressiven, aber durchaus sehr modernen Super-Strat zu tun. Auf der gewölbten Decke wird diese von zwei Vertiefungen geschmückt, die an Lufthutzen eines Sportwagens erinnern.
(Bild: Simon Hawemann)
Dies sind typische Design-Elemente von Aristides und ich kann mich nicht so recht an den Anblick gewöhnen – auch nicht nach 4 Wochen Tour. Was mir hingegen absolut gefällt, ist das schnittige 5+3 Kopfplatten-Design. Die Hipshot Open Gear Tuner sind ästhetisch eine gute Wahl und das Richlite Fretboard mit den ebenso schwarzen und somit super subtilen Inlays weiß auch rein optisch zu gefallen.
In der Praxis setzt sich der hervorragende optische Eindruck fort. Die Achtsaiter-Aristides hat ein angenehmes Gewicht – etwas schwerer als erwartet, aber durchaus komfortabel. Unverstärkt klingt das gute Stück erstaunlich laut, artikuliert und ausgewogen. Man spürt das Schwingungsverhalten des Ariums deutlich im gesamten Instrument. Dazu dürfte auch die Tatsache beitragen, dass das Instrument in einem einzigen Stück gegossen wird.
(Bild: Simon Hawemann)
Die 080S ist angenehm ausbalanciert und der Korpus sehr komfortabel geformt – gleiches kann man übrigens auch über den Hals sagen! Das flache C-Profil (19mm am Sattel und 20mm am zwölften Bund) sollte für Flitzefinger und Virtuosen wie geschaffen sein und ist besonders für eine 8-String extrem schnell zu bespielen – auch und besonders 8-Saiter-Neulingen sollte das Profil entgegenkommen.
Am Verstärker bin ich über den doch etwas zurückhaltenden Charakter der Bare-Knuckle-Pickups erstaunt. Es kristallisiert sich schnell heraus, dass Aristides hier in Zusammenarbeit mit der Tonabnehmer-Schmiede aus England vor allem auf Vielseitigkeit gebaut hat. Rock, Prog, klassischer Metal – all das sollte kein Problem für die Bare Knuckles sein. Auf Tour mit meiner Band Nightmarer hätte der Gitarre allerdings ein bisschen mehr Biss gut gestanden. Kompensiert haben wir dies mit einem etwas aggressiveren Kemper Profil, das Paul ausschließlich mit dieser Gitarre verwendet hat. Die zweite Aristides in seinem Arsenal war nämlich ein etwas böseres Biest …
(Bild: Simon Hawemann)
070SR
Und zwar eine Siebensaiter mit ebenfalls gefächerten Bünden, Lundgren M7 Tonabnehmern und dem neuen „Raw“- Finish. Während Aristides normalerweise das Arium, wie bereits erwähnt, mit spektakulären Finishes versieht, handelt es sich bei den Raw-Modellen um Instrumente aus dem nackten Verbundstoff mit einer limitierten Auswahl an dazugemischten Farben. Die mir vorliegende 070SR ist in einem schicken Anthrazit-Ton gehalten, der in Verbindung mit der rohen Oberflächenstruktur geradezu unverwüstlich erscheint. Und das sieht nicht nur cool aus, sondern fühlt sich auch wirklich extrem gut an – wie eine Mischung aus geöltem Wenge und Satin Finish. Das Ganze ist schwer zu beschreiben, aber ich bin hin und weg. Ansonsten sind beide Gitarren, abgesehen von Seitenanzahl und Finish in ihrer Konstruktion überwiegend identisch.
(Bild: Simon Hawemann)
Das E-Fach der Aristides Raw Serie ist semi-transparent und gibt diesem Instrument meiner Ansicht nach noch das gewisse i-Tüpfelchen, ansonsten tue ich mich aber schwer, Unterschiede zu finden.
Diese schlagen sich deutlich dramatischer in Sachen Bespielbarkeit und Klang nieder. Zunächst mal ist die 070SR spürbar leichter – klar, schließlich fallen nicht noch zusätzliche Lackschichten ins sprichwörtliche Gewicht. Und auch der akustische Klang ist direkt spürbar offener und lauter. Besonders die glockigen Höhen und das artikulierte Attack versprechen einiges! Und nicht zu viel, wie sich schnell am Live Rig herausstellt: Die Siebensaiter klingt wirklich um einiges bissiger als ihre große, achtsaitige Schwester. Dazu tragen auch die Lundgren-M7-Pickups ihren Teil bei – die übrigens auch seit Jahren von Meshuggah benutzt und in ihren Signature-Modellen verbaut werden. Jedenfalls mussten wir für diese Gitarre ein etwas zahmeres Kemper Profil wählen. Die Kombination aus Finish und Tonabnehmern sorgt nämlich für äußerst schnittige Höhen.
Und versteht mich bitte nicht falsch – das ist überhaupt kein Nachteil! Statt am Amp die Höhen aufreißen zu müssen, erledigt die Aristides 7-String das ganz von selbst. Und auch das Sustain kommt nicht zu kurz. Überhaupt habe ich bei dieser Gitarre das Gefühl, dass die Schwingungseigenschaften noch herausragender sind. Ich spüre die Vibrationen der 070SR einfach bis in die Fingerspitzen, selbst bei wirklich lang ausklingenden Akkorden.
Das Setup der Aristides Siebensaiter ist darüber hinaus auch über jeden Zweifel erhaben. Die Saitenlage ist extrem flach und obwohl der Hals rein objektiv etwas runder ist, fühlt er sich noch flacher an als der der 080S. Hier spielt auch das Raw Finish wieder seine Stärken aus und sorgt für noch weniger Widerstand als beim satinierten Hals der 8-String.
Fazit
Es ist selten, dass ich mit zwei Review-Instrumenten so viel Praxiserfahrung sammeln kann, von einer vierwöchigen Tour ganz zu schweigen. Dabei hatte nicht nur ich ausreichend Gelegenheit beide Gitarren ausführlich selbst zu testen – ich konnte auch beobachten, wie sie sich als Live-Gitarren für einen anderen Gitarristen machen, dessen Sound mit meinem Eigenen in Einklang gebracht werden musste.
Beide Aristides-Gitarren haben sich dabei vortrefflich geschlagen. Dank des Ariums, das auf Wetter schlichtweg nicht so reagiert wie Tonhölzer (bzw. gar nicht), musste in den vier Wochen nicht einmal ein Hals nachjustiert werden. Qualitativ nehmen sich beide Gitarren nichts. Die Präzision, mit der Aristides ihre Instrumente fertigen ist schlichtweg beeindruckend. Alle Ecken und Kanten sind makellos und irgendwie erinnert einen das Ganze in seinem Perfektionismus und der Liebe zum Detail auch etwas an Supersportwagen.
In Sachen Ton und Schwingverhalten stehen sie Instrumenten aus bewährten Tonhölzern in Nichts nach – klingen aber auch nicht zwangsläufig überlegen. Besonders die 070SR im Raw Finish konnte mich mit ihrem äußerst brillanten Klangbild zwar vollends überzeugen, die Achtsaiter war mir im Vergleich zumindest für extremere Metal-Spielarten doch etwas zu zahm, wenn dafür auch etwas vielseitiger. Aber macht das Arium die 080S und 070SR nun zu perfekten Gitarren? Diese Frage ist schwer und vor allem nur subjektiv zu beantworten. Ich persönlich würde allerdings so weit gehen zu sagen, dass die Instrumente von Aristides mit zu den besten modernen Gitarren gehören, die der Markt zu bieten hat.
Wer sich mit dem futuristischen Design anfreunden kann, sollte unbedingt mal eine Aristides anspielen.
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)