Bärte, Blues, & Boogie: Billy Gibbons (voc/g), Dusty Hill (voc/b) und Frank Beard (dr) beglücken als ZZ Top seit fast vier Dekaden die Rock-Community weltweit. Zu ihren Edel-Fans zählen auch einige jüngere prominente Kollegen, wie die Gastauftritte von Mr. Gibbons auf Alben von Queens Of The Stone Age, Kid Rock, Everlast und Nickelback zeigen.
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,Degüello‘ von 1979 stellt kurioserweise ein kleines Comeback-Album dar. Nach den ersten beiden Platten ,First Album‘ und ,Rio Grande Mud‘ begann die Karriere der drei Texaner mit ,Tres Hombres‘ (1973) und ,Fandango!‘ (1974) so richtig Fahrt aufzunehmen.
Im Februar ’77 erschien das in sowohl musikalischer als auch kommerzieller Hinsicht etwas enttäuschendere ,Tejas‘, und abgesehen von einer Best-OfCompilation sollte es fast drei Jahre dauern, bis im Dezember ’79 mit ,Degüello‘ endlich wieder neue Songs am Start waren. Das auffällige Cover war eine Ansage: vor rotem Hintergrund zeigt es einen Totenkopf, ein weiße Fahne, die von Kugeln durchschossen wird und eben den prägnanten Titel, der u. a. mit „Gemetzel“ oder „Enthauptung“ übersetzt werden kann, aber auch für den Schlachtruf der mexikanischen Soldaten in der Schlacht von Alamo (1836) steht, und soviel wie „Kein Pardon“ oder „Kampf bis zum Tod“ bedeutet(e).
Dabei fielen die neuen Songs alles andere als martialisch aus. Das Album startet mit der Isaac-Hayes/David-Porter-Nummer ,I Thank You‘. Sehr cool sind hier die Gitarren-Sounds und einfach der minimalistische Groove, der in der Retrospektive darauf verweist, in welche Richtung das Trio in den 80er-Jahren auf ,Eliminator‘ gehen sollte. ,She Loves My Automobile‘ ist ein typischer ZZ-Top-Blues, dessen treibender ShuffleGroove an den Klassiker ,Tush‘ erinnert.
Erstmals sind hier Bläsersätze zu hören, und laut Liner-Notes spielten die drei Musiker Bariton-, Tenor- und Alt-Saxophon selbst ein. Nicht schlecht! Weltklasse sind die Gitarren-Soli mit einem schlanken, ungecrunchten Sound. Absolut funky kommt ,I’m Bad, I’m Nationwide‘ rüber, mit seinem verfremdeten, irgendwie flirrenden Gesangs-Sound. Abgefahren ist in diesem straighten 4/4-Rocker der immer wieder auftauchende ternäre Break nach dem Refrain.
Stimmungswechsel: Mit einem ruhigen Gitarren-Intro beginnt ,A Fool For Your Stockings‘, eine langsame Nummer im 12/8- Feel, die durch ein markantes melodisches Thema von der Gitarre hervorsticht. Und interessant ist sicher auch der Turnaround dieses reinen Moll-Blues, der eine jazzige Stimmung hineinbringt. In den Solo-Parts spielt Gibbons gewohnt sparsam und akzentuiert, lässt weniger mehr sein, und das auch in einem bemerkenswerten Clean-Sound, der irgendwo zwischen akustischer und elektrischer Gitarre pendelt.
Auch in dem ironischen ,Manic Mechanic‘ taucht dieser latente Jazz-Vibe wieder auf. Und das hat schon was von Frank Zappa, wenn im Intro die Breaks mit einem startend-stotternden Motor-Sound kombiniert werden und schließlich die (wieder) modifizierten und so unglaublich überzogenen Vocals reinkommen. Klingt so, als hätte unser manisch singender Mechaniker ein bisschen zu viel texanische Sonne abbekommen 😉
Der fette Klang eines startenden und davonfahrenden Autos beendet diese kurze irgendwie sehr schräge Nummer. Wer ,Degüello‘ als Vinyl-LP besitzt, muss die Platte umdrehen, und Seite 2 startet dann auch so, wie man es schon eher von dieser Band erwartet: Mit dem Elmore-James-Klassiker ,Dust My Broom‘ zollt man einem großen Blues-Vorbild Tribut, und hier taucht es endlich auf, das fette Slide-Gitarrenspiel von Billy Gibbons. Wieder kommt mit ,Lowdown In The Street‘ einer dieser abgehangenen Rocker mit funky Gitarren, bevor in ,Hi Fi Mama‘ deftiger abgerockt wird – wieder mit Saxophon-Sätzen.
Sehr beeindruckend, wie Gibbons in dieser Nummer eine spannende, sehr bluesige LeadGitarre spielt. Hat Stevie Ray Vaughan bestimmt ausgiebig gehört … Einen weiteren Band-Klassiker liefert ,Degüello‘ dann mit ,Cheap Sunglasses‘. Markant ist das tragende Riff, und selten hat Billy cooler Solo gespielt.
Abgefahren, wie das Trio im Outro dann langsamer wird. Zum Schluss überrascht ,Esther Be The One‘ mit einem eingängigen, poppigen Refrain und sehr melodischen zweistimmigen Gitarren-Linien, deren Pathos im Kontrast zu den humorvoll derben Lyrics über die schießwütige Esther steht – die Blues-befreiteste Nummer des Albums.
Auffällig sind auf ,Degüello‘ die lebendigen, organischen Gitarren-Sounds, mit denen Mr. Gibbons aufwartet. Und damit wären wir bei dem großen und immerwährenden Geheimnis um sein Equipment angekommen, dass vor nicht allzu langer Zeit noch auf www.gitarreundbass.de heiß diskutiert wurde.
Bekannt ist, dass er eine 1959er Gibson Les Paul, genannt „Pearly Gates”, spielt, aber im Laufe von fast 40 Jahren eine Vielzahl an Gitarren verschiedener Hersteller benutzt hat. Darunter Fender Stratocaster und Telecaster, weitere Gibson-Modelle wie Explorer und Flying V, außerdem existiert mittlerweile eine Signature-Gitarre von Gretsch, die Billy-Bo Jupiter Thunderbird. Die verwendeten Röhren-Amps dürften in Richtung Marshall und Fender tendiert haben.
Gerade von letzterer Marke scheint Gibbons im Laufe der Zeit nach eigener Aussage viel ausprobiert zu haben, u. a. die Fender-Modelle Dual Professional, Champ, Princeton, Bassman und Tremolux. Dass Sound-Freak Gibbons auf ,Degüello‘ die eine oder andere Spur direkt ins Aufnahme-Mischpult gespielt hat, kann auch nicht ausgeschlossen werden. Und ganz bestimmt kamen diverse Effektpedale aus den Bereichen Modulation (Chorus, Flanger etc.) und Verzerrung zum Einsatz.
Dusty Hill nutzt gerne Telecaster-Bässe von Fender, spielte allerdings im Laufe der Zeit u. a. auch einen Fender Precision und Instrumente von Dean und Danelectro. In kommerzieller Hinsicht war ,Degüello‘ vergleichsweise nicht ganz so erfolgreich, bildet aber musikalisch/stilistisch gesehen eine interessante Station, gerade auch im Vergleich etwa zu ,Eliminator‘ und ,Afterburner‘, den ganz großen Erfolgs-Alben, der 80er-Jahre.
Minimal-Blooze, Lyrics über Autos und/oder Frauen versehen mit eigenwilligem Humor, dazu viel Texas Voodoo – auf ,Degüello‘ findet sich Vieles, was dieses Trio bislang auszeichnete. Aber eben auch noch mehr: Musikalisch ging man einen Schritt weiter, experimentierte mit Harmonien und Sounds. Überspitzt stellt ,Degüello‘ im Gesamtkatalog von ZZ Top vielleicht so etwas wie das „Jazz-Album“ dar. Packende, überraschende Songs – hier werden keine Gefangenen gemacht.