"Ich spürte, dass Blues und Bach zu jeweils 50% in meiner DNA fest verankert sind"
Steve Hackett: Ethno-Rocker
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Lee Millward)
Auch wenn Steve Hackett noch immer vor allem mit seiner Zeit bei Genesis Mitte der Siebzigerjahre in Verbindung gebracht wird, geht seine Karriere als Solomusiker weit über diese sechs prägenden Jahre hinaus. Heutzutage gehört Hackett zu den wichtigsten Ethno-Rock-Gitarristen der Welt, die mit fabelhafter Technik und großer künstlerischer Vision die Fans in ihren Bann ziehen.
Wir haben den 69-jährigen Engländer bei seinem Konzert in der Hamburger Laeiszhalle besucht, uns sein aktuelles Equipment angeschaut und ihn zu seinem neuen Album ‚At The Edge Of Light‘, aber auch zu seiner Genesis-Ära befragt.
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interview
Steve, kannst du dich noch an die frühen Siebziger erinnern, die Zeit, in der du bei Genesis eingestiegen bist? Welche Art von Gitarrist warst du seinerzeit?
Das ist natürlich eine lange Geschichte. Ich bin in den 1950ern aufgewachsen, mit Bands wie The Shadows, bevor ich später die Beatles und die Rolling Stones entdeckte. Dann gab es ein einschneidendes Erlebnis: Ich begann mich zunehmend stärker für klassische Gitarre zu interessieren, vor allem für Andrés Segovia Torres, speziell wenn er Stücke von Johann Sebastian Bach spielte.
Ich bemerkte, wie viel detailreicher klassische Gitarrenmusik im Vergleich zur Rockmusik ist, wie viel mehr Ausdrucksmöglichkeiten es gibt und wie viel mehr Aufmerksamkeit diese Musik verdient. Natürlich wurde man schon damals mit klassischer Gitarrenmusik bei Weitem nicht so schnell reich wie mit Rock oder Popmusik. Aber ich spürte, dass Blues und Bach zu jeweils 50% in meiner DNA fest verankert sind.
Natürlich könnte man so etwas auch schizophren nennen, denn Blues und Bach sind ja nicht gerade artverwandte Genres. Aber ich habe es geschafft, beides unter einen Hut zu bringen.
Indem du 1971 bei Genesis eingestiegen bist?
Ja und nein. Ich hatte schon zuvor die Vision, Blues und Klassik in Einklang zu bringen. Als Genesis mich fragten, sah ich die Chance, meine Ideen in die Realität umzusetzen. Die Krux war anfangs nur: Genesis wollten mich eigentlich als E- und Akustikgitarristen, mit dem Hauptaugenmerk auf die 12-saitige Akustikgitarre. Ich besaß damals eine Hagstrom- und eine Eko-12- String. Die Eko-12-String verkaufte ich allerdings, um mir eine Gibson Melody Maker leisten zu können.
Bild: Mineur
Hacketts Fernandez Les Paul Gold Top Custom mit Sutainer Pickups
Bild: Mineur
Seine Alvarez CY75CE Yairi Cutaway Nylon mit Piezo-Pickups
Bild: Mineur
Hackets Zemaitis 12-String
Was genau erwarteten deine Genesis-Kollegen musikalisch von dir?
Genesis waren schon damals nicht nur eine einfache Rockband. Ihre Vision war, zwei oder am besten sogar drei Gitarristen mit 12-String-Gitarren gleichzeitig spielen zu lassen, und zwar identische oder aber komplementäre Parts. Das funktionierte damals ziemlich gut, allerdings war es ungeheuer schwierig, alle drei 12-saitigen Gitarren haargenau zu stimmen. Seinerzeit gab es noch keine Stroboskop-Stimmgeräte und es dauert bei Konzerten jeden Abend zwei Stunden, bis die Dinger wirklich exakt aufeinander abgestimmt waren. Dadurch fing ich mit der Zeit an, 12-saitige Gitarren zu hassen, da die Vorbereitungen immer so mühsam waren.
Diese Abneigung ist aber mittlerweile wieder in Vorliebe umgeschlagen, nicht wahr?
Ja, das stimmt. Ich mag Nylon-Gitarren, ich mag natürlich auch E-Gitarren, aber ich spiele schon seit vielen Jahren wieder 12-saitige Gitarren, zudem Dobro, Bass und Mundharmonika. Wenn man 12- String-Gitarren doppelt, bekommt man ja sogar ein 24-saitiges Klangspektrum, was logischerweise unglaublich voll und atmosphärisch dicht klingt. Außerdem habe ich herausgefunden, dass ich nicht nur mit Fingern, besser gesagt: mit Fingernägeln, sondern auch mit Plektrum spielen sollte, damit es noch voller klingt.
Weshalb hast du Genesis 1977 nach nur sechs Jahren wieder verlassen?
Es gab bei Genesis nie die Garantie, dass meine Songs auch tatsächlich verwendet werden. Also fing ich an, für mich selbst und meine eigenen Scheiben zu schreiben. Die Kooperation zwischen mir und den übrigen Genesis-Mitgliedern wurde dadurch immer weniger. Ich aber wollte, dass meine Kompositionen gewürdigt und verwendet werden. Also verließ ich die Band, nahm Gesangsunterricht, arbeitete mit anderen Musikern und kann heute sagen, dass ich quasi best of both worlds habe: Ich spiele Material der Genesis-Scheiben, an denen ich beteiligt war, vor allem ‚Selling England By The Pound‘, das sicherlich beste Album meiner Genesis-Ära, aber auch die Songs meiner eigenen Soloscheiben.
Wie etwa ‚At The Edge Of Light‘, dein aktuelles Album, das deine große Stilvielfalt eindrucksvoll dokumentiert.
Mein erklärtes Ziel war immer schon, möglichst viele Stilrichtungen und künstlerische Elemente miteinander zu verknüpfen. Die Basis ist natürlich Rockmusik, hinzu kommen aber auch starke Einflüsse von Ethno/World Music und orchestrale Passagen.
Wie darf man sich das konkret vorstellen? Womit beginnt für dich die Arbeit an einem neuen Song?
Ganz unterschiedlich. Es gibt kein festes Muster, wenn ich mit dem Komponieren starte. Manchmal ist es nur ein Wort, das mich inspiriert. Manchmal nur ein Ton. Oder ich habe etwas in einem Buch gelesen. Mitunter sind es auch nur Bruchstücke einer Unterhaltung, die sich in meinem Kopf festgesetzt haben. Wenn der Funke überspringt, wenn ich also die erste Idee habe, geht der Rest wie von selbst.
Rock, Ethno und Klassik? Welche Elemente diktieren deine Songs am stärksten?
Die Frage kann ich nicht so einfach beantworten. Als Musiker bin ich immer wieder hin- und hergerissen und müsste es daher anders formulieren. Bei mir finden permanent Kollisionen unterschiedlicher Ideen statt, ein Crossover aus europäischer Musik und starken Ethno-Anteilen. Natürlich ist für mich und meine Fans der Genesis-Background ein fester Ankerpunkt.
Noch einmal zurück zu deinem Equipment von damals: Welche Amps hast du bei Genesis gespielt?
Als ich bei Genesis einstieg hatte ich einen Hiwatt und einen HH-Amp. Die ersten Scheiben für die Band habe ich dann jedoch mit einem Fender Champ plus zwei Fuzzboxes, einem Echoplex und einem MXR Phaser aufgenommen. Ich war nie ein besonders laut spielender Gitarrist, meine Parts wurden vergleichsweise leise aufgenommen, klangen aber voll und voluminös. Ende der Siebziger legte ich mir einen Roland Jazz Chorus zu, danach spielte ich viele Jahre lang einen Marshall. Neuerdings bevorzuge ich ENGL Amps, und zwar 100 Watt Röhrentopteile, zusammen mit einem SansAmp für die Distortion-Sounds. Ein wichtiger Faktor sind übrigens auch die Sustainer-Pickups in meiner Fernandez-Gitarre.
Wie war dein Verhältnis zu Effektgeräten generell? Und wie ist es heute?
Früher musste ich mir diese Teile kaufen, später brachten mir immer häufiger Abgesandte von Firmen einige der Geräte, um sie zu testen. Das hatte natürlich Einfluss auf mein Songwriting, beispielsweise durch den Octave Divider. Und auch das Volume-Pedal wurde für mich immer wichtiger. Denn je häufiger ich mich der klassischen Gitarre widmete, umso stärker musste ich den Klang und meine Lautstärke an Instrumente wie Violine oder Cello anpassen.
Wenn man mit klassischen Musikern zusammenspielt, ist man als Rockgitarrist schnell zu laut, oder – wenn ich mich nur an Violine oder Bratsche orientiere – nicht laut genug. Dann ist ein solches Volume-Pedal natürlich unverzichtbar. Das bestätigen mir übrigens auch immer andere Musiker, wenn ich mit ihnen über ihr Equipment spreche. Steve Howe beispielsweise hat mir mal verraten, dass er mit dem Fuß permanent auf dem Volume-Pedal steht.
Hast du eigentlich nie darüber nachgedacht, selbst mal ein Signature-Instrument zu entwickeln?
Doch, sogar schon ziemlich früh in meiner Karriere. Ich habe bereits vor vielen Jahren mit einigen Firmen über die Idee gesprochen, eine Gitarre mit einem eingebauten E-Bow zu entwickeln. Steinberger waren damals auch durchaus interessiert, das Teil sollte Full-Bow heißen. Wie schon gesagt, schöpfe ich aus dem Sustainer-Pickup meiner Fernandez-Gitarre eine Menge Inspirationen. Der Sustainer macht aus einer Gitarre ein weniger perkussives sondern noch stärker melodisches Instrument.
Ich habe in all den Jahren auch immer wieder mit Gitarren-Synthesizern experimentiert, aber heutzutage denke ich, dass Gitarren wie Gitarren und nicht wie digitale Instrumente klingen sollten. Mit Effektgeräten wie Reverb oder Chorus lassen sich die Sounds auch so schon genügend variieren, viel mehr braucht es gar nicht. Kein Instrument ist so nuancenreich wie eine Gitarre.
Letzte Frage: Stimmt es, dass zu deinem aktuellen Equipment auch eine Fernandez aus dem Nachlass von Gary Moore gehört?
Ja, das stimmt. Ich selbst besitze schon seit vielen Jahren eine Fernandez-Gitarre, und da ich eine Zeitlang mit Graham Lilly den gleichen Gitarrentechniker wie Gary Moore hatte, fragte Graham mich, ob ich Interesse an Garys Fernandez habe. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Sie ist übrigens auf meinem Album ‚The Night Siren‘ in dem Song ‚The Gift‘ zu hören. Ich habe auf der aktuellen Tour auch ein paar neue Effektgeräte dabei, unter anderem eine Echo-Unit, verschiedene Chorus-Pedale und – wie schon erwähnt – einen spannenden neuen Verstärker.
Danke für das nette Gespräch, und weiterhin alles Gute für dich, vor allem Gesundheit!
Steve Hackett & Band spielen unter dem Namen „Genesis Revisited“ mit dem Sinfonieorchester Wuppertal und dem Opernchor der Wuppertaler Bühnen am 17./18.04.2020 in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Es ist Hacketts erster Aufritt in Deutschland mit Chor & Orchester. Eintrittskarten von € 47 bis € 77 (zzgl. Gebühren) erhältlich bei www.eventim.de und an allen Vorverkaufsstellen.