Seit unserem ersten Test einer Relish Guitar vor gut drei Jahren haben sich die eidgenössischen Firmengründer Silvan Küng und Pirmin Giger nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht. Ganz im Gegenteil. Wenn sich überhaupt jemand im als konservativ geltenden Genre des E-Gitarrenbaus als innovativ bezeichnen kann, dann sicherlich diese beiden.
Zwar ist die Idee austauschbarer Pickups keineswegs neu, doch das spezielle Korpus-Design unseres Test-Modells zeigt, wie praktikabel diese Möglichkeit sein kann. Da wechselt doch in einem Demovideo der Vorführer zwischen zwei Looper Tracks mal eben die Pickups seiner Gitarre. Echtes Plug & Play. Beeindruckend! Nicht weniger staunen lässt mich die anstelle des traditionellen Pickup-Schalters getretene Relish Touch Control. Das schmale Touchpad ermöglicht nicht nur 17 (!) verschiedene Mischungen beider Humbucker, sondern durch 2-Finger-Berührung auch Coilsplits. Ebenfalls eine Eigenkreation des Herstellers.
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hitech
Da ich die Korpuskonstruktion bereits im Test der Mary A Marine (Ausgabe 10/2016) umfassend beschrieben habe, hier noch mal in Kürze: Decke und Boden, beide ergonomisch facettiert, bestehen aus hochverdichtet verleimten Furnieren, das der Decke besteht aus bookmatched halbiertem Riegelahorn. Dazwischen ist ein 3 mm Alublech über Distanzhalter mit der Decke verschraubt. Auf der Unterseite hat man Metallscheiben auf Kunststoff-U-Scheiben angebracht, die passgenau in den Boden greifen, wo eingelassene Magnete für so viel Halt sorgen, dass dieser stets in Position bleibt und problemlos ohne Werkzeug abgenommen werden kann.
Schaut man auf die Zarge, ist zwischen Alu-Layer, Decke und Boden jeweils etwa 2 mm Abstand zu erkennen. Steg und Hals wurden an einem massiven zentralen Aluminiumrahmen montiert, der der Konstruktion nicht nur enorme Stabilität verleiht, sondern auch die Schwingungsübertragung fördert und genügend Platz zum Austauschen der Pickups bietet. Da die Saiten von hinten durch den Center-Rahmen gezogen werden, muss der Boden natürlich vor dem Wechseln abgenommen werden. Die Rohrklinkenbuchse hat man in die breitere Deckenzarge eingelassen.
Die Halstasche, die ja vom Alu-Center-Rahmen, vom Alu-Layer und der Decke gebildet wird, gewährt dem mit vier Holzschrauben zuverlässig montierten Ahornhals rundum einen knappen Millimeter Spiel. Dieses spezielle Konstruktionsprinzip hat sich Relish Guitars patentieren lassen, denn weder die Decken- noch die Bodenplatte sollen Kontakt zum Hals haben, um dessen Schwingungen und die des Alu-Layers nicht zu absorbieren.
Für das Griffbrett, auf dem 24 ordentlich abgerichtete und polierte Jumbobünde Platz finden, kommt harter und strapazierfähiger Bambus zum Einsatz. Runde weiße Punkte, die sowohl von oben als auch von der Seite sichtbar sind, erleichtern die Orientierung. Ich nenne sie mal Edgedots. Ein perfekt aus- und abgerichteter Graphitsattel führt die Saiten über den offenen Trussrod-Zugang hinweg zu den präzise und geschmeidig arbeitenden Gotoh SG381 Tunern.
Korpusseitig nimmt ein massiver Hardtail-Steg mit einzeln justierbaren GraphTech-Ghost-Reitern, in die Piezo-Elemente eingelassen wurden, die Saiten nach dem Strings-thru-body-Prinzip auf. Eine weitere Besonderheit der Flamed Marine Mary ist die Möglichkeit, die Pickups on-the-fly austauschen zu können. Dazu thront jeder der Abnehmer auf einem Sockel mit vier vergoldeten Federkontakten und vier Magneten. Während die Kontakte die Verbindung zur Bordelektrik herstellen, halten die Magnete die Pickups sicher in den präzisen Deckenfräsungen.
Über einen zentralen Messingzylinder mit Feingewinde können die Abnehmer nicht nur in Höhe und damit Abstand zu den Saiten justiert werden, sondern er dient zugleich auch als Griff beim Ein- und Ausbau. Die Handhabung ist kinderleicht: Boden abnehmen, Pickup herausziehen, Alternativ-Pickup einsetzen, Boden aufsetzen – fertig.
Für diesen Test hat uns der Hersteller neben zwei Standard Relish Buckers XV, ein Seymour-Duncan-Jazz-Set und ein Bareknuckle-Ragnarok-Pärchen zur Verfügung gestellt. Verwaltet werden diese per Master-Volume und Master-Tone, die GraphTech-Piezos per separatem Master-Volume und Mid Boost (Push/Pull). Ein kleiner Dreiwegschalter wählt die Modi Pickups, Pickups + Piezos und Piezos. In Mittelstellung können beide Systeme über die dreipolige Klinkenbuchse sogar stereophon abgenommen und über verschiedene Verstärker übertragen werden.
Und schon kommen wir zum nächsten speziellen Feature der Marine Mary. Hier hat der konventionelle Drei- oder Fünfwegschalter zur Anwahl der Pickups bzw. PU-Spulen ausgedient. Das milchig weiße Touchpad wird rückseitig von 17 weißen und zwei blauen LEDs angestrahlt. Gleitet man mit einem Finger über die berührungssensitive Fläche, folgen die LEDs der Fingerposition und rufen eine Mischung beider Tonabnehmersignale ab, und zwar von 100% Hals- bis 100% Steg-PU in, Achtung, 17 (!) Stufen. Die blauen Dioden signalisieren den jeweiligen Coilsplit, der durch simultanes Tippen mit zwei Fingern aktiviert wird. Dabei verstummen die einander zugewandten Spulen ohne Polschrauben.
play mode
Dank seiner abfallenden Decken- und Bodenränder bietet der Korpus hohen Tragekomfort. Auf dem Bein gibt sich die blauweiße Mary bestens ausbalanciert, am Gurt ein wenig kopflastig. Der recht kräftige Ahornhals schmiegt sich angenehm in meine Hand, die satinierte Oberfläche bietet warmen holzigen Grip. Während sich das Griffbrett bis zum 22. Bund stressfrei bespielen lässt – darüber hinaus müssen sich die Finger etwas strecken – ist hinsichtlich der Verrundung der Bundkanten noch Luft nach oben.
Sowohl die butterweich rotierenden Potis und den Minischalter als auch das Relish Touch Control hat man ergonomisch günstig angeordnet. Allerdings behindert der Master-Volume-Regler die freie Sicht auf Letzteres, primär beim Spielen im Stehen. Wird die Gitarre ca. drei Minuten nicht bewegt oder steht im Ständer, tritt eine Art Sleep Mode in Aktion. LEDs und Elektronik schalten sich aus, die Batterie wird geschont. Sobald man das Instrument bewegt oder die Saiten anschlägt, ist es wieder am Start.
Obgleich ich von den Möglichkeiten des Schaltkonzeptes und der daraus resultierenden Klangvielfalt beeindruckt bin, lässt die Handhabung Skepsis aufkommen. Während sich nämlich ein Fünf- oder Dreiwegschalter blind bedienen lässt, muss ich hier speziell bei den Zwischenpositionen 2-16 ganz genau hinschauen, um auch in hektischen Bühnensituationen das gewünschte Setting reproduzieren zu können.
Zudem ist unter dem Finger nur schwer zu erkennen, welche LED gerade aufleuchtet, da die Positionen mit 3,4 mm doch recht eng nebeneinander liegen. Davon ausgenommen sind natürlich 100% Hals- und 100% Steg-Pickup, da man einfach nur bis zum jeweiligen Ende des Feldes gleiten muss. Auch für die Coilsplits sollte der User eine gute Portion Treffsicherheit mitbringen, schließlich muss ein Finger immer die angedeutete Mittellinie des Touch-Feldes, der zweite das Feld des zu splittenden Pickups berühren.
(Bild: Dieter Stork)
Der zentrale Alurahmen, der Hals und Steg trägt, begünstigt das freie Schwingen von Decke und Boden, welche sich als sehr resonanzfreudig erweisen. Unverstärkt klingt die Marine Mary jedoch leise und schwachbrüstig und liefert ein sehr warmes mittiges Klangbild mit weichen Bässen, das sich mit Obertönen extrem zurückhält. Ansprache und Tonentfaltung punkten indes mit Direktheit und Vitalität und verleihen der Gitarre respektable Dynamik.
Die leistungsstarken Relish Bucker XV stellen den akustischen Eindruck der Marine Mary förmlich auf den Kopf. Egal, ob Hals- oder Steg-Pickup, es breitet sich plötzlich das Klangspektrum aus und es tönt offen und klar, spritzig und transparent. Gleichzeitig erhöht sich der Obertonanteil. Während sich die Bässe beim Hals-Bucker vollmundig und rund präsentieren, kommen die des Steg-Pickups knackig und straff. Wunderbar glockig, luftig und leicht perlt auch die 50:50-Kombi beider Humbucker aus den Lautsprechern. Erwartungsgemäß verschlanken die Coilsplits die Humbucker-Sounds und erweitern damit das Klangspektrum erheblich, wobei die Touch Control uneingeschränkt zur Verfügung steht.
Neben den Cleansounds sind die Relish Bucker auch vorzüglich in der Lage, Crunch und High Gain zu bedienen. Dabei werden unabhängig von der gewählten Pickup- bzw. Spulenkonstellation auch intensiv zerrende Akkorde stets transparent, definierbar, durchsetzungsstark und dynamisch wiedergegeben und Leadsounds von achtbarem Sustain unterstützt.
Das Seymour Duncan Jazz-Set eröffnet der Marine Mary Ausflüge in Vintage-Gefilde und damit einen gezügelteren Klangcharakter. Dagegen bedient das Bareknuckle-Ragnarok-Set mit kompakten, aggressiven aber dennoch durchschlagskräftigen Sounds die Metal-Abteilung.
Während das Master-Volume-Poti über seinen gesamten Regelbereich präzise und kontinuierlich arbeitet, entfaltet der Tone-Regler seine eigentliche Wirkung erst auf den letzten Millimetern.
Das GraphTech-Ghost-Piezo-System lässt zwar den Charakter einer Akustik-Gitarre erkennen und liefert auch einen recht breites Klangspektrum, wirkt insgesamt aber etwas steril. Deutlich verbessert wird das Ergebnis durch Ziehen des Reglerknopfes, der mittels praxisorientiert abgestimmtem Mid Boost den Sound fürs Bandgefüge optimiert.
(Bild: Dieter Stork)
resümee
Mit der Flamed Marine Mary beweisen die Relish-Guitars-Macher erneut Kreativität und Innovationstalent im E-Gitarrenbau. Bis auf die nicht ganz perfekt verrundeten Bundkanten, die meines Erachtens nicht für einen Minuspunkt ausreichen, wurde die Gitarre bis ins Detail vorbildlich verarbeitet. Neben der interessanten Relish Touch Control, die den konventionellen Pickup-Schalter durch ein Touchpad mit 17 beleuchteten Schaltungsstufen plus Coilsplits ersetzt, sind vor allem die Möglichkeit der Pickup-Wechsel hervorzuheben, bei denen eigens entwickelte Adapter mit fest installierten handelsüblichen Abnehmern sekundenschnelles werkzeugloses Austauschen ermöglichen.
Ganz nebenbei ist die Flamed Marine Mary eine erstklassige hochprofessionelle Gitarre mit unabhängig von der Pickup-Bestückung extrem vielfältigem Klangangebot. Dank der flexiblen Schaltmöglichkeiten zählen auch eigenständige Sounds zu ihrem Angebot.
PLUS
• Konzept & Design
• Sounds & Sound-Vielfalt
• Dynamik & Sustain
• Schnellwechsel von Pickups
• Schalterkonzept (Pickup Mix)
• Sleep Mode
• Spielbarkeit
• Verarbeitung MINUS
• präzise Handhabung der Schalterpositionen problematisch
Ich mag tolle Ideen abseits vom Mainstream. Ich habe die Jungs auch beim Guitar Summit 2018 in Mannheim kennengelernt. Da ist viel Potential vorhanden. Ich befürchte nur, dass der Preis in Liebhaberdimmension dem Erfolg in Wege steht.
Ich mag tolle Ideen abseits vom Mainstream. Ich habe die Jungs auch beim Guitar Summit 2018 in Mannheim kennengelernt. Da ist viel Potential vorhanden. Ich befürchte nur, dass der Preis in Liebhaberdimmension dem Erfolg in Wege steht.