Nach einer Schaffenspause sind die deutschen Mittelalter-Rocker In Extremo zurück im Geschäft, und zwar auf gleich mehreren Ebenen. Zum einen haben die ersten Arbeiten am kommenden und derzeit noch unbetitelten Studio-Album begonnen, dessen Veröffentlichung für Frühjahr/Sommer 2020 angekündigt ist. Zum anderen nutzte die Gruppe den trocken-heißen Sommer in Deutschland, um an einigen ungewöhnlichen Orten Open-Air-Konzerte zu spielen.
Wir haben In Extremo auf der Freiluftbühne des Hamburger Stadtparks besucht und den Musikern etwas genauer auf die Finger geschaut. Allen voran Gitarrist Sebastian Lange (SL), Künstlername „Van Lange“, und Bassist Kay Lutter (KL), beruflich als „Die Lutter“ unterwegs. Hier nun das interessante Gespräch mit den beiden Berlinern, inklusive eines lohnenden Blicks auf ihr derzeitiges Equipment.
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Interview
Wie war das eigentlich in den 1980ern, noch zu Zeiten der DDR: Hatte man als hoffnungsvoller Jungmusiker eine hauptberufliche Perspektive? Oder sah die Karriere eher die Mitgliedschaft in einem der VEBs vor?
KL: Ich für meinen Teil kann sagen, dass ich immer schon Berufsmusiker werden wollte, bereits als kleiner Junge. Mein Vater spielte Tanzmusik, zwar nicht professionell, aber dennoch sehr häufig, und immer, wenn ich durfte, fuhr ich mit zu den Auftritten. Eigentlich wollte ich Gitarre spielen, meldete mich auch in Potsdam bei einer Musikschule an, doch es gab auf lediglich fünf oder sechs freie Plätze so viele Bewerber, dass es aussichtslos war.
Also erkundigte sich mein Vater bei der Musikschule, ob Bass eine Alternative wäre, um für mich einen Platz zu bekommen. Auf dem Weg nach Hause fragte ich meinen Vater, was denn überhaupt ein Bass sei. Mein Vater meinte: „Elektrisch!“ Ich darauf: „OK, mach ich!“ (lacht) Damals war ich zwar erst acht, wollte – auch durch das Vorbild meines Vaters – aber nie etwas anderes machen. Außer an der Musikhochschule habe ich mich nie irgendwo beworben. In der DDR brauchte man eigentlich Abitur, um zu studieren. Nur nicht in den Fächern Sport und Kunst. Daher war ich schon mit 16 an der Uni.
Bereits mit eigenem Equipment?
KL: Ja. Zunächst hatte ich einen tschechischen Bass, vermutlich einen Jolana, mit kurzer Mensur, dann folgte ein Bass mit langer Mensur, den wir bei Karstadt zum Umtauschwert von eins zu sieben oder eins zu acht für 2800 Mark kauften, quasi drei Monatsgehälter. Meinen ersten professionellen Bass erhielt ich erst nach dem Ende der Uni-Zeit, ein Ibanez Soundgear, der damals gerade auf den Markt kam und den ich mir nur deshalb kaufte, weil ich aufgrund einer Handverletzung ein Instrument mit schmalem Hals brauchte. Der Soundgear klang zwar nicht allzu gut, erfüllte aber seinen Zweck.
SL: Bei mir verlief die Geschichte ganz ähnlich. Mein Vater war Musikwissenschaftler in der DDR. In unserer Wohnung stand immer ein Klavier, außerdem brachte er von seinen Dienstreisen häufig Instrumente mit. Mein fünf Jahre älterer Bruder konnte schon recht früh ziemlich gut Schlagzeug spielen, während ich nur immer mal zwischendurch auf Gitarre oder Klavier herumklimperte. Als ich zehn oder elf war, brachte mein Vater ein Songbook der Beatles mit, und mit dem fing ich an, die ersten Akkorde auf der Gitarre zu greifen.
Danach hatte ich ziemlich schnell meine erste Schülerband und besuchte in Friedrichshain eine Musikschule. Damit stand für mich fest, dass ich beruflich irgendetwas mit Musik machen wollte. Zunächst fing ich an, klassische Gitarre zu lernen, suchte aber immer nach Ausreden, weshalb ich nicht ausreichend geübt hatte. Doch seit Kurt Cobain weiß jeder, dass man nicht unbedingt Noten lesen und technisch besonders gut sein muss, um Musik machen zu können.
Was war deine erste Gitarre?
SL: Ebenfalls eine Jolana, die ich in einem Gebrauchtwarengeschäft in Ostberlin für 200 DDR Mark kaufte. Das Teil hatte eine unvorstellbar hohe Saitenlage und war eigentlich nicht stimmbar. Danach bekam ich mit einem DDR-Fender-Nachbau meine erste einigermaßen professionelle Klampfe, anschließend folgte die weiße Gibson Les Paul, die ich dir gerade auf der Bühne gezeigt habe.
Kay, wurdest du eher Melodie- oder Rhythmus-orientiert ausgebildet?
KL: Für Bassisten ist der berufliche Werdegang bekanntlich nicht einfach. Natürlich möchte jeder wie Stanley Clarke spielen, was an den Unis ja auch gefordert wird. Doch dann stellt man fest, dass man mit dieser Fähigkeit eigentlich nur auf Messen spielen kann, während im – ich nenne es mal so – „normalen Musikerleben“ das Bass-Spiel völlig anders aussieht. Denn dort ist gefordert, dass man Song-dienlich spielt. Und dafür sind vor allem Basics gefordert.
Mittlerweile übe ich komplizierte Parts auch gar nicht mehr. Nebenbei betreibe ich zwar noch die Blues-Band Monomann, bei der ich ein paar frühere Kenntnisse auffrische und viel improvisiere, doch bei In Extremo geht es nur um die Songs und darum, sich als Bassist zurückzuhalten, was bei einer siebenköpfigen Besetzung unabdingbar ist. Natürlich sagt man sich im Studio, wenn an neuem Material gearbeitet wird, dass man nicht schon wieder durchgehend Achtel spielen möchte. Aber letztendlich bleibt es dann doch dabei.
Basti, gibt es bei dir neben Les Pauls auch eine Zuneigung zu anderen Gitarrenmodellen?
SL: Ich mag SGs ebenfalls sehr gerne. Meine erste Strat damals in der DDR war eher aus der Not heraus. Grundsätzlich stehe ich auf Les Pauls, zumal mir der Sound eines Humbuckers besser in die Karten spielt als Singlecoils auf Stratocaster-Modellen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich auch LTDs und ESPs besitze, zumeist jedoch in Les-Paul-Form. Ibanez ist dagegen nicht so mein Ding, wobei ich weiß, dass die Firma mittlerweile auch sehr schöne Humbucker-Gitarren baut. Aber diese typischen Metal-Klampfen gefallen mir nicht.
Kay, ihr seid gerade im Studio und nehmt das kommende Album auf. Wie und an welcher Stelle der Produktion wird dein Bass eingespielt?
KL: Wir nehmen direkt über DI auf, damit man das Ergebnis besser nachbearbeiten kann.
SL: Bei uns sind Produktionen immer auch eine Zeitfrage. Wir fangen an, spielen zwischenzeitlich ein paar Konzerte, müssen dann aber schleunigst zurück ins Studio. Und bevor man dann jedes Mal eine Ampegoder Mesa-Box mitschleppt, aufbaut und neu mikrofoniert, geht es über DI natürlich deutlich schneller.
KL: Das war vor 20 Jahren sicherlich noch anders. Damals klang diese Technik noch nicht gut. Aber heutzutage kann man Unterschiede zum traditionellen Aufnahmeverfahren nicht mehr feststellen. Zu deiner Frage, wann ich aufnehme: Von der Rock-Fraktion bei In Extremo bin ich der letzte, der sein Instrument einspielt. Zunächst nehme ich eine Pilotspur auf, an der sich Basti orientieren kann. Danach kontrolliere ich, ob und was noch geändert werden sollte. Bevor die Dudelsäcke kommen, fummelt Basti bis zur letzten Sekunde an seinen Parts herum, und auf die muss ich als Bassist ja gegebenenfalls noch mal reagieren.
Bild: Matthias Mineur
Gitarrist Sebastian Lange
Bild: Mineur
Seine schwarze Gibson Les Paul Baujahr 2007, ein Geschenk anlässlich des Nr.1-Chartserfolges des Albums ‚Sängerkrieg‘
Bild: Mineur
Langes Gibson Les Paul Standard, Baujahr 1993
Bild: Mineur
Die Klangkraft-Sebastian-Lange-Signature-Baritone-Les-Paul mit Häussel-PUs, Baujahr 2014
Bild: Mineur
Langes Epiphone Baritone Les Paul, Baujahr 2002, in Drop-A gestimmt
Bild: Mineur
Seine allererste Gibson Les Paul, Baujahr 1990, mit Seymour-Duncan-Pickups
Bild: Mineur
Gibson SG, Baujahr 1978, mit der er 1996 das komplette In-Extremo-Debüt eingespielt hat
Bild: Mineur
Das Rack mit Kemper und Mesa/Boogie Rectifier
Bild: Mineur
Langes Gitarrentechniker Max Schlüer
Wer komponiert bei euch?
SL: Eigentlich schreiben alle in der Band, aber das Fundament kommt häufig von mir. Vieles ergibt sich aber auch erst im Studio, neue Harmonien, Melodien von den Säcken, Kleinigkeiten.
Werden die Gitarren über einen Kemper aufgenommen?
SL: Im Principal Studio gibt es sowieso einen Kemper, außerdem reampen wir das Signal. Ganz ähnlich mache ich es bei mir zu Hause, dort arbeite ich vor allem mit Plug-Ins.
Auf der Bühne mischst du den Sound deines Kempers mit dem des Dual Rectifiers, richtig?
SL: Es ist ein Split-System, bestehend aus drei Kanälen: der Kemper auf links und rechts, der Mesa/Boogie läuft in der Mitte und ist ein klein wenig dumpfer eingestellt. Bevor der Kemper auf den Markt kam, hatte ich das gleiche System mit Sans-Amp links/rechts und entweder einen Hiwatt oder später halt den Mesa/Boogie in der Mitte. Delays und Chorus feuere ich über den Kemper ab, während der Mesa/Boogie quasi trocken durchläuft. Zwischenzeitlich hatte ich auch mal ein Fractal Audio, bin jetzt aber bei Kemper gelandet, wobei nur jeweils ein Kemper und ein Mesa/Boogie in Betrieb und die beiden anderen als Ersatz dabei sind.
Hast du auf dem Kemper einen eigenen Sound programmiert, oder fährst du einen der Werkssounds?
SL: Den Sound habe ich im Kemper gefunden, es ist ein Profile-Mix aus einem alten VHT Fryette als Haupt-Sound mit kleiner Beimischung von Soldano und Bogner. Mit dem Sound musste ich mich ein wenig beschäftigen, bevor ich ihn gefunden und auf meine Bedürfnisse hin modifiziert hatte. Für mich ist der Kemper für Gitarristen die innovativste Erfindung der zurückliegenden zehn Jahre, einfach toll, auch der Support der Firma. Muss man ja auch mal sagen.
Kay, du bist von Ampeg zu Tech 21 SansAmp gewechselt?
KL: Ampeg waren für In Extremo leider nicht Tour-tauglich, weil die Amps unterwegs doch arg durchgeschüttelt werden und daher alle paar Tage die Röhren kaputt waren. Danach habe ich TC Electronic gespielt, bevor mich Basti auf SansAmp brachte, in die ich mich sofort verliebt habe und die ich seitdem spiele, da auch das Preis/Leistungs-Verhältnis stimmt.
Bild: Matthias Mineur
Bassist Kay Lutter
Bild: Mineur
Lutters roter Ibanez Grooveline, Baujahr 2011
Bild: Mineur
Der zweite Ibanez Grooveline dient als Ersatzbass
Bild: Mineur
Lutters Rack mit SansAmp und dem TC Electronic Blacksmith
Bild: Mineur
Als Bodentreter gibt es ein Boss CEB-3, einen DI-Sans-Amp,
einen TC Electronic Polytune und eine Schaltleiste für den
Blacksmith-Amp.
Was ist mit deinen Effektpedalen?
KL: Die bestehen, wie du gesehen hast, nur aus einem Boss Chorus, den ich bei zwei Songs spiele, und einem DI-SansAmp, den ich leicht angezerrt bei drei Balladen einsetze.
Basti, lässt du sämtliche Effekte über den Kemper laufen?
SL: Ich hatte früher auch mal ein richtiges Stressboard, was sich durch den Kemper aber weitestgehend erledigt hat, weil im Kemper alles drin ist, also Delay, Chorus usw. Vor den Mesa/Boogie habe ich, wie gesagt, nichts geschaltet, da der in der Mitte komplett trocken durchläuft.
Werden deine Soli geboostet?
SL: Ein wenig per Tube Screamer, dafür habe ich mir eine extra Bank abgespeichert, damit ich auch sofort Delays „in time“ dazu habe. Ansonsten tappe ich die Delays.
Ihr spielt also komplett frei, nicht nach Clicktrack?
SL: Sowohl als auch. Übrigens gibt es im Kemper die sogenannte Transpose-Funktion, sodass ich nicht einmal mehr meine Gitarren umstimmen muss. Das ist von großem Vorteil, wenn ich beispielsweise nach Russland nur zwei Instrumente mitnehmen kann.
Letzte Frage: Könnt ihr bereits einen kleinen Ausblick aufs kommende Album geben?
SL: Für konkrete Aussagen ist es eigentlich noch zu früh, da wir gerade erst mit den Arbeiten begonnen haben. Vermutlich werden wir 16 Songs aufnehmen und daraus elf oder zwölf fürs Album auswählen, plus den einen oder anderen Bonustrack.
Danke für das Interview, und viel Erfolg bei der anstehenden Studioarbeit!