Ein Evergreen unter den Verstärkern: der Fender Princeton
von Carlo May,
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Mal ehrlich, wo wären wir heute ohne Leo Fenders geniale Ideen? Unabhängig von seinen Leistungen bei Gitarren und Bässen, liegt sein wohl größter Verdienst im Bereich der Entwicklung von Röhrenverstärkern. Ohne seine Amps gäbe es vielleicht keine Rockmusik, denn deren Klang war und ist integraler Bestandteil von fast allem, was in den letzten 70 Jahren an Popmusik auf Platten verewigt wurde. Eins seiner ältesten Modelle ist der Princeton, bald 75 Jahre alt. Um diesen kleinen Wunder-Amp soll es hier gehen. Und das hat überhaupt nix mit dem Disco-Knaller aus der Überschrift zu tun, eher schon mit Carlos Santana.
„…and a cheesy little amp with a sign on the front said Fender Champ…“, singt Frank Zappa im Song ‚Joe’s Garage‘. Es war die Geschichte einer Schülerband, die in Papas Garage erste Gehversuche im Rock’n’Roll unternahm. Heute denken wir, Fenders kleinster Verstärker sei immer schon der Champ gewesen, das Einsteigermodell und somit quasi automatisch die Standardausrüstung vieler Schülerbands. Das stimmt nicht ganz, der Champ hatte einen Vorgänger und wurde zu einem Ableger, zum kleinen Bruder des bis dahin kleinsten Fender Verstärkers, des Princeton. Dessen Geschichte beginnt so um 1946.
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Damals hatte Leo sich von seinem Partner Doc Kauffman getrennt und als alleiniger Chef die Firma Fender Electric Instrument Co. gegründet. Im Katalog fand man elektrische Lap-Steel-Gitarren und drei verschiedene Verstärker. Der wuchtigste, mit einem 15″-Lautsprecher hieß „Pro“, der mittlere mit weniger Leistung und 12″-Lautsprecher bekam den Namen „Deluxe“. Nun ja und der Zwerg in diesem Trio war der Princeton, mit etwa 4 Watt Leistung und einem 8″-Lautsprecher.
Dass Leo Fender ein sparsamer Mensch war, ist hinlänglich bekannt, aber die technische Ausstattung des Princeton war schon extrem spartanisch. Amp samt Speaker befanden sich in einem angestrichenen Holzkasten mit integriertem Holzgriff. Auf der Rückseite gab es zwei Klinkenbuchsen und mehr nicht. Kein Poti, kein Schalter. Wofür auch? Lautstärkeregler hatte ja die Gitarre (wir reden noch ausschließlich über Lap Steels!) und zum Ein- oder Ausschalten hatte man ja den Netzstecker, den man in die Steckdose stecken oder wieder rausziehen konnte.
Wofür dann aber bitte zwei Klinkenbuchsen? Eine hätte ja auch gereicht. Nein, der Princeton war ein „Student Model“ – Schüler und Lehrer konnten gleichzeitig über den Verstärker spielen. Schüler, egal ob Grund-, Ober- oder Hochschüler heißen in den USA pauschal „students“. Na ja, und da kann man einen Schülerverstärker auch mal selbstbewusst nach einer Universität benennen. Princeton war und ist eine Elite-Uni in den USA. Damals lehrte mit A. Einstein dort beispielsweise ein relativ bekannter Physiker. Die Typ-Bezeichnung war also mehr als angemessen, für eine kleine Holzkiste mit Stromanschluss.
Erfolg und Entwicklung
Fenders Verstärker wurden von den Musikern geschätzt. Kein Wunder, es gab damals auch kaum Alternativen, und Fenders Produkte waren von Anfang an solide gebaut und zuverlässig im Gebrauch.
Und Leo entwickelte weiter, wohl auch durch den intensiven Austausch, den er mit Musikern suchte. Die Amps wurden ab 1947/48 überarbeitet. Zuerst bekamen sie mal einen neuen Anzug. Die Holzgehäuse wurden mit widerstandsfähigem Textil beklebt. Der Stoff wurde auch für Reisekoffer verwendet und sollte bei Fender die Gehäuse vor den schlimmsten Macken bewahren. Flightcases fürs Equipment kannte man noch nicht und so sollten die Verstärker den harten Alltag der reisenden Musiker möglichst unbeschadet überstehen. Im Sammlerjargon heißt die Außenhaut heute „Tweed“, obwohl sie mit dem feinen englischen Gewebe höchstens die Optik gemein hat.
Im Inneren des Gehäuses tat sich erst mal noch nicht viel. Der Princeton hatte weiterhin drei Röhren (Gleichrichter, Vorstufe, Endstufe) und seinen 8″-Lautsprecher. Aber er bekam einen keinen Bruder, im kleineren Gehäuse, mit fast identischem Innenleben – der Champ war geboren. Wie unterschieden sich die beiden?
Der Champ bekam einen Lautstärkeregler, der Princeton sogar zusätzlich einen Tonregler – Luxus pur. Netzschalter gab es allerdings immer noch nicht. Der Champ wurde am Volume-Poti eingeschaltet, der Princeton am Tonpoti. Die Mehrausstattung des Princeton schlug mit $ 10 zu Buche. 1948 musste der Musiker $59 für ihn bezahlen, der Champ kostete $49. Diese erste Generation der Tweed Amps nennen wir heute TV Front, denn die Vorderseite erinnerte an einen alten Fernsehapparat.
1953 kam die nächste Ausbaustufe. Die Stoffbespannung vor dem Lautsprecher wurde größer, die Fernsehoptik verschwand zugunsten eines klaren Designs, das auch einfacher herzustellen war. Wide Panel Amp heißen diese Modelle heute, denn die Front war an der Oberseite mit einem breiten, mit Tweed bespannten Brett begrenzt. Viel wichtiger waren hingegen die Modifikationen im Inneren. Leo verwendete nun Röhren mit Glaskolben, statt mit Metallgehäusen und die Vorstufe (12AX7) wurde getrennt. Zwischen den beiden „Hälften“ der Röhre wurde Lautstärke- und Tonregelung angesiedelt. Der Champ bekam die identische Schaltung, ohne Tonregelung. Und einen separaten Netzschalter gab es immer noch nicht.
Den bekam der Princeton erst um 1955 mit der nächsten Version: Neues Gehäuse, mit noch größerer Lautsprecherbespannung. Der Narrow-Panel-Tweed-Amp kam auf den Markt. Anfangs baute Leo sogar einen zusätzlichen Trafo, einen sog. Choke in die Spannungsversorgung, aber der verschwand bei Princeton und Champ bald wieder. Zu teuer in der Herstellung – hatte ich erwähnt, Leo Fender war sparsam.
Dennoch kostete der Princeton 1955 bereits $79. Immerhin wurden 1956 die Gehäuse größer, Princeton war jetzt genau so voluminös wie der neue Harvard, ein Amp mit 10″-Lautsprecher und 10 Watt Leistung. Das Modell war mal wieder nach einer Elite-Uni benannt.
Wer in den alten Fender Katalogen stöbert, findet immer wieder den Hinweis, dass die Verstärker „absolut verzerrungsfrei“ arbeiten. Ja, nee, is klar. Fender legte maximalen Wert auf verzerrungsfreie Wiedergabe, er konnte ja nicht ahnen, dass seine Lieblinge ab den späten 50er-Jahren eben gerade wegen der Verzerrung so begehrt waren. Gut, für einen Elektroingenieur oder Physiker sind die Verzerrungen, die eine Röhre nun mal ab einer bestimmten Leistung produziert, Teufelszeug und sollten vermieden werden. Deshalb war Leo Fender nie zufrieden und hat ständig an allen Modellen gearbeitet und sie modifiziert, letztendlich um die unverzerrte Wiedergabe – high fidelity – in allen Lautstärkebereichen zu erzielen. Gut, dass ihm das nicht wirklich gelungen ist, sonst wären die Gitarristen ab den 1960er-Jahren ziemlich aufgeschmissen gewesen, und Jim Marshall hätte wohl weiterhin Schlagzeug in einem englischen Tanzorchester spielen müssen.
Neue Gehäuse, neue Optik, neue Schaltung
Trotz des immensen Erfolgs der Fender Verstärker – aus den drei Urmodellen war inzwischen eine ganze Palette von Amps geworden – ging die Ära der Tweed Amps zu Ende. Mit der Wende zu den 1960ern baute Leo seine Modelle radikal um. Zuerst verwendete er neue Gehäuseverkleidungen, ein widerstandsfähiges Kunststoffmaterial, genannt Tolex. Zuerst in cremeweiß, dann in braun und schließlich in schwarzer Färbung.
Viel wichtiger, die Regler wanderten auf die Vorderseite des Gehäuses, oberhalb der Lautsprecher Bespannung. Die Handhabung durch die Musiker hatte sich geändert. Anfangs, von den 1930ern bis Ende der 50er, hatten die Verstärker vorn am Bühnenrand gestanden und der Gitarrist saß dahinter – wir erinnern uns, die ersten E-Gitarren, Lap Steels, wurden im Sitzen gespielt. Die Regler befanden sich an der Oberseite und wurde von hinten bedient. Mit den Solidbody-E-Gitarren wurde zunehmend im Stehen gespielt und der Musiker wollte nun auch besser hören, was er macht. Deshalb platzierten sie die Verstärker lieber hinter sich. Das Bedienfeld nach vorn zu verlagern war nur logisch, weil ergonomisch.
Optik und Bedienung waren Äußerlichkeiten. Im Inneren des Princeton verbarg sich ab 1961 ein von Grund auf neu konstruierter Verstärker. Statt nur einer 6V6 Endstufenröhre, bekam er zwei, die Leistung stieg auf 12 Watt, für die fortan ein 10″ Jensen-, Utah- oder Oxford-Lautsprecher eingebaut wurde. Außerdem bekam er serienmäßig einen Effekt spendiert, der sich bei einigen größeren Tweeds schon erheblicher Beliebtheit erfreut hatte: eine Tremolo-Schaltung, um die sich eine zusätzliche 12AX7 Röhre kümmerte. Der Effekt war in Intensität und Geschwindigkeit regelbar und per Fußschalter zu aktivieren. Der Preisaufschlag dafür klingt moderat, 1961 kostete der Princeton $89, ein Jahr später allerdings schon $99.
Und was wurde aus dem kleinen Bruder, dem Champ? Bei dem blieb alles beim Alten. Bis 1964 behielt er seinen Tweed-Anzug. Wahrscheinlich mussten erst alle Stoff-Vorräte aufgebraucht werden. Bei einem kleinen Gehäuse konnte sogar Verschnitt von großen Amps sinnvoll verwendet werden. Leo Fender war eben, ja, genau, sparsam. Bloß nix wegwerfen.
Der Princeton präsentierte sich zwei Jahre lang in braunem Tolex, dann wurde er schwarz eingekleidet, wie fast alle anderen Amps auch. Zuerst war das Bedienfeld schwarz unterlegt, ab Ende der 1960er Jahre dann silbern, aber das war nur Kosmetik. Die Sammler sprechen heute von Blackface- und Silverface-Verstärkern. Viel wichtiger aber war ein zusätzlicher Effekt:
Der Princeton bekam 1964 eine Hallspirale mit Intensitätsregler und Fußschalter. Der Princeton Reverb hatte nun sagenhafte sechs Regler: Volumen, zwei (!) Tonpotis, zwei Tremoloregler und den Hallregler. Dazu zwei Fußschalter, Standby-Schalter sowie ein zweiter Lautsprecherausgang.
Der Gipfel der Ausbaustufen war erreicht – zum Preis von $169. Wem das zuviel war, der konnte weiterhin einen Princeton ohne Hall erwerben, kostete 1964 $109. Was für eine Karriere in etwas mehr als 20 Jahren, von der spartanischen Holzkiste zum voll ausgestatteten Verstärker, Liebling zahlloser Studiomusiker. 1979/1980 nahm Fender dann sowohl den Princeton als auch den Princeton Reverb aus dem Programm. Aber da hatte er längst eine zweite Karriere begonnen.
Benz, Beton und Boogie
Die zweite, von Fender unbeabsichtigte Erfolgsgeschichte des Princeton spielt in der Bay Area in Kalifornien, rund um San Francisco. Diese Gegend war ab etwa 1965 der absolute Hotspot der US Musikszene. Bands wie The Grateful Dead, Jefferson Airplane, Quicksilver Messenger Service, Creedence Clearwater Revival, Steve Miller, Country Joe & the Fish, Big Brother and the Holding Company oder Santana kamen von dort.
In Marin County, auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge war Randall Smith daheim. Der junge Randall lebte davon, Betonfundamente für Häuser zu gießen. Nicht eben sexy dieser Job. Mehr Spaß dürfte es ihm gemacht haben, an Motoren von Mercedes zu schrauben und sie zu reparieren. Um Ersatzteile beziehen zu können, musste er eine Firma gründen – er nannte sie Mesa Engineering. Na und dann spielte er noch in einer der lokalen Bands und kümmerte sich um das Equipment seiner Kollegen. Also schwang er auch noch den Lötkolben. Mit Erfolg, denn die Musiker der Bay Area brachten ihm ihre Verstärker zur Reparatur.
Einmal hatte er einen Fender Princeton von Barry Melton, dem Gitarristen von Country Joe & the Fish, in der Werkstatt. Gut gelaunt und voller Unsinn im Kopf wollte Smith jenem Melton einen harmlosen Streich spielen. Streiche – Pranks – waren und sind ein beliebter Zeitvertreib der jungen Amerikaner. Kurzerhand baute Smith alles aus dem Princeton-Gehäuse aus und pflanzte neue Teile ein. Einen dicken 12″-Lansing-Lautsprecher und das Innenleben eines Fender Bassman. Melton dürfte beim ersten Ausprobieren ziemlich verblüfft aus der Wäsche geschaut haben.
Das Ergebnis muss aber überzeugend gewesen sein, denn nun kamen pausenlos Musiker, die auch einen aufgemotzten Princeton haben wollten. Sogar die Rolling Stones standen Schlange.
Mehrere hundert Amps hat Randall Smith umgebaut, bis sich Fender weigerte, ihm weiterhin Trafos für den Umbau zu liefern. Dort konnte man über den Scherz offenbar nicht lachen. Smith war inzwischen so tief in der Materie, dass er nun schlicht eigene Verstärker konstruierte und baute – bis heute. Die Idee zum Namen bekam er von Carlos Santana, der auch eine der ersten Eigenkreationen bekam. Boogie hießen Randalls Verstärker. Warum? Santana hatte einen der ersten getunten Princetons gehört und gemurmelt: „Shit man, that thing really boogies.“ „Yes Sir“, mag sich Randall Smith gedacht haben.