Grenzenlos frei

Interview: The 1975 & Adam Hann

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(Bild: Brett Lloyd)

An The 1975 scheiden sich die Geister: Für ihre Kritiker sind sie eine Band mit undefinierbarem Sound, deren Erfolg auf cleverer Selbstvermarktung und medialem Hype basiert. Für ihre Fans dagegen sind sie die innovativste und spannendste britische Formation der Gegenwart, die mit überholtem Schubladendenken bricht bzw. den Nerv der Generation Streaming trifft. Wir nehmen das Phänomen – insbesondere Gitarrist Adam Hann – genauer unter die Lupe.

Der 30-Jährige weilt gerade im Studio irgendwo auf dem Land, „also weit weg von den Ablenkungen und Versuchungen Londons. Hier können wir uns in aller Ruhe auf unsere Welttournee vorbereiten.“ Die ist Ende Januar gestartet, führt die ehemalige Schülerband einmal um den Globus und gipfelt in Festival-Auftritten bei Rock Am Ring/Park, zu denen das aus Manchester stammende Quartett bereits ein komplett neues Album präsentieren will, das zweite binnen sechs Monaten – und wie schon der Vorgänger ein sicherer Anwärter auf die Spitzenposition der internationalen Albumcharts.

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Denn 16 Jahre nach ihrer Formierung sind Sänger Matt Healy, Bassist Ross MacDonald, Drummer George Daniel und eben Adam Hann groß im Geschäft, mit eigenem Label, ausverkauften Konzerten und einem kreativen Output, der an die legendären Beach Boys in den 60ern erinnert.

Sprich: Sie schreiben ständig und viel, stehen stilistisch zwischen allen Stühlen und gestalten ihre Karriere nach ihren eigenen Vorstellungen. Dabei muss man Adam & Co. vor allem eines zugutehalten: Sie schwimmen nicht mit dem Strom, sondern eher dagegen – bewusst und extrem erfolgreich.

Interview

Adam, da sich The 1975 als Band versteht, die alles ein bisschen anders macht und mit bestehenden Konventionen bricht: Wie würdest du deine Rolle in diesem Gefüge beschreiben?

Mein Fachgebiet ist alles, was mit Gitarren zu tun hat – aber auch mit der Live-Präsentation. Denn wenn wir ins Studio gehen, gibt es keine Regeln und beim Schreiben keine Grenzen. Und das sorgt immer für die Frage, wie das wohl in einer Live-Situation funktionieren könnte. Das ist mein Aufgabenbereich. Die Musik liegt bei Matty und George, die wahnsinnig talentierte Songwriter sind. Und dann tue ich mein Bestes, um das umzusetzen.

Nehmen wir dagegen auf, bin ich in erster Linie für die Gitarren zuständig – für den Sound, den wir uns vorstellen. Es ist also eine echte Kollaboration: Wir kreieren gemeinsam und jeder sagt, was er denkt und was er mag oder nicht.

Wobei euer Hybrid aus Alternative Rock, Synthie-Pop, Jazz, Funk und Rave entweder für Begeisterung oder ungläubiges Kopfschütteln sorgt. Eine bewusste Polarisierung?

Das Lustige daran ist: Früher wurde uns diese Vielfalt oft als Schwäche ausgelegt. Dabei ist sie das exakte Gegenteil. Denn heute muss man sich nicht mehr an bestehenden Genres orientieren. Es gilt als cool, einfach zu machen, was man will und da völlige Freiheit zu propagieren. Schließlich können sich die Leute, die ohnehin lieber Tracks statt ganze Alben streamen, ja einfach rauspicken, was ihnen gefällt. Aber diejenigen, die uns mögen, haben eine wirklich enge Beziehung zur Musik.

Leute, die in Sachen Musik eher passiv sind, haben dagegen echte Probleme mit uns. Einfach, weil wir von ihnen verlangen, dass sie genauer hinhören und sich einbringen. Wir machen zwar Pop, aber es geht ein bisschen tiefer. Und das mögen manche nicht.

Was erwartet uns demnach beim neuen Album, das im Mai erscheinen soll?

Das ist mit die schwierigste Frage überhaupt. Eben: Wie klingt die Musik? Ich denke, bei The 1975 ist es unmöglich, eine Antwort mit ein oder zwei Adjektiven zu geben. Nur so viel: Es ist zeitgemäßer, alternativer Pop. Und wir sind eine Pop-Band in dem Sinne, dass wir etwas durchaus Populäres machen.

Da wir uns in mehreren musikalischen Genres bewegen, sind wir ein Hybrid – wir reflektieren alles auf einmal. Und deshalb soll jeder seine eigene Entscheidung treffen, in welche Kategorie wir wohl am besten passen.

Wie kommt es, dass die Gitarre im Studio eine eher untergeordnete Rolle einzunehmen scheint – ganz im Gegensatz zur Live-Umsetzung?

Richtig. Abgesehen von Stücken wie ,Be My Mistake’ und ,Heads And Bodies’, taucht die Gitarre immer erst kurz vor dem Gesang auf. Was das betrifft, ist unsere Art des Schreibens sehr ungewöhnlich. Wir entwickeln eine Idee und stellen uns dann die Frage: Muss da überhaupt eine Gitarre auftauchen? Ist das wirklich erforderlich? Denn wir verwenden nichts, was nicht gebraucht wird. Das ist eine sehr befreiende Vorgehensweise. Ich denke, viele Bands schränken sich selbst ein, indem sie überall eine Gitarre einsetzen – weil der Gitarrist halt irgendwie beschäftigt werden muss.

Hand aufs Herz: Ist das nicht frustrierend für dich?

Das kann es durchaus sein. Es ist ja kein traditionelles Aufnehmen, als vielmehr ein Sound-Puzzle. Denn wir arbeiten oft am Computer, wo wir die erste Skizze eines Songs entwickeln. Die nehme ich dann und reproduziere sie so, wie sie sein soll – mit echtem Amp und echten Effekten. Ich rekonstruiere ihn also, wie er in der späteren Aufnahme klingen soll.

Klingt, als wäre die Technik ein zweischneidiges Schwert?

Ja. Die Technik hilft uns dabei, unsere Musik zu kreieren. Ohne Laptop ginge das gar nicht. Wir kämen der Sache nicht mal ansatzweise nah. Auf der anderen Seite kann dieser Ansatz auch ziemlich gefährlich sein. Es geht halt immer darum, eine richtige Balance zu finden.

Hättest du es nicht gerne ein bisschen Gitarren-lastiger und rockiger?

(lacht) Ganz ehrlich? Es wäre ein riesiger Spaß, bei einem Gig zu erscheinen, zwei Gitarren und einen Bass aufzudrehen und es einfach rauszuhauen. Im Ernst: Ich kann mir nichts Lustigeres vorstellen, als in einer erfolgreichen Rockband zu spielen.

Etwa bei den Queens Of The Stone Age, die anderthalb Stunden lang ein großartiges Riff nach dem anderen raushauen. (lacht) Aber bei uns ist das halt nicht der Fall, und ich würde nie auf das verzichten, was wir mittlerweile erreicht haben. Trotzdem wäre es definitiv ein Riesenspaß.

Könntest du dir einen Alleingang oder ein Solo-Projekt vorstellen?

Ja, darüber machen sich die anderen in der Band regelmäßig lustig, weil es ein progressives, virtuoses, cineastisches Metal-Projekt werden könnte. Wogegen ich nichts einzuwenden hätte. Und wer weiß: Wenn wir in ein paar Jahren mal eine längere Pause einlegen oder ganz auseinandergehen, komme ich vielleicht darauf zurück. Momentan ist es nur eine Spinnerei.

(Bild: Magdalena Wosinska)

Equipment

Was verwendest du in Sachen Gitarren? Wie hat sich dein Setup über die letzten 16 Jahre verändert?

Eigentlich gab es keine so großen Veränderungen. Ich habe schon immer eine Menge Strats verwendet und daran hat sich nichts geändert. Wenn du bei The 1975 eine Gitarre hörst, ist es fast immer eine Strat oder eine Music Man, mit nur einem Pickup. Sie klingt wie eine dieser verrückten, aktiven Strats aus den 80ern – aber auf Steroiden. Eben irre sauber und sehr perkussiv. Was die Strats betrifft, habe ich ein paar Modelle aus den 50ern und ein paar nagelneue Teile. Ich verwende da einfach die, die gerade am besten klingen.

Was ist mit Effekten?

Eine Menge Chorus und Kompressoren. Dasselbe, was wir immer benutzen. Wir haben die Elemente der letzten Alben einfach nur ein bisschen verfeinert. Im Sinne von: Wir haben das Aufnehmen der Gitarren noch weiter verbessert. Und es sind auch weniger verzerrte Gitarren am Start.

Wie steht es mit Verstärkern?

Wir benutzen jetzt MIDI-Switching. Was bedeutet, dass die Effekte nicht mehr auf dem Fußboden rumfliegen, sondern sich in einem netten Rack befinden, wo sie keine Feuchtigkeit abbekommen können. Wir kontrollieren sie mit MIDI-Fuß-Controllern.

Und bei der Tour haben wir erstmals keine Verstärker auf der Bühne, sondern setzen Amp-Emulationen ein. Was sich ziemlich verrückt anfühlt, also ganz ohne Amps auszukommen und auf so etwas wie Amp-Modeling von Kemper zurückzugreifen. Aber es klingt OK. Es ist uns gelungen, es wie einen echten Verstärker klingen zu lassen.

Im Studio haben wir unterschiedliche Amps für verzerrte und cleane Sounds verwendet. Das lässt sich live nur mit einer Menge Aufwand reproduzieren. Wobei viel Gear dabei zu haben weder praktisch noch verlässlich ist. Also: Das könnte die Zukunft sein.

Die Band hat in den letzten Jahren viel Erfolg gehabt und auch viel verdient. Hat dich das zum Gitarrensammler werden lassen?

Ein bisschen. Ich habe angefangen, mich nach Vintage-Fenders und einer Les Paul Jr. umzusehen – eine umwerfende Gitarre, von der ich seit Jahren träume. Aber ich kaufe eher merkwürdige, schrullige Sachen. Wie eine Kay Vintage, die wie eine Gretsch aussieht. Eine alte amerikanische Gitarre mit viel Kupfer. Und eine Burns, eine britische Gitarre, von der ich gleich ein paar Modelle erworben habe – und die alle ziemlich cool aussehen.

Diskografie

  • The 1975 (2013)
  • I Like It When You Sleep, For You Look So Beautiful Yet Unaware Of It (2016)
  • A Brief Inquiry Into Online Relationships (2018)
  • Notes On A Conditional Form (2019)

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2019)

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