(Bild: Shervin Lainez)
Verlust und Trauer, Liebe und Not sind seit jeher die wichtigsten Taktgeber im Songwriting. Dies sind auch die zentralen Themen von ‚Signs‘, dem neuen Studiowerk der derzeit angesagtesten amerikanischen Blues-Rock-Band. Und die Zeichen stehen günstig, dass ‚Signs‘ ihr bisher erfolgreichstes Werk wird.
Im vergangenen Sommer, nach Beendigung einer weiteren erfolgreiche Tour, kehrte die fußballmannschaftsstarke Band um die beiden kreativen Köpfe Susan Tedeschi und Derek Trucks ins Bandeigene Studio „Swamp Raga“ zurück.
Das unscheinbare Holzhäuschen, das das Künstlerehepaar hinter seinem Haus in Jacksonville, Florida, im Garten gezimmert hat, ist Proberaum, Refugium und Aufnahmestudio zugleich. Alles selbst konzipiert, eingerichtet und mit Hilfe ihres langjährigen Tontechnikers und Produzenten Jim Scott, der schon für Sting, Tom Petty und die Rolling Stones an den Reglern saß, ausgestattet.
Scott übernahm auch die Produktion von ‚Signs‘, ein Longplayer, der diese ohnehin großartige Band in vieler Hinsicht wieder ein Stück voran gebracht hat. Gitarrist Derek Trucks verrät uns die inhaltliche, persönliche, spieltechnische und auch klangliche Entwicklung zu ‚Signs‘.
Interview
Derek, du sagst ‚Signs‘ sei euer erstes Album, das dich in eine ganz besondere Stimmung versetze, wenn du es hörst. Was genau meinst du damit?
Einige Songs führen mich zurück in die Vergangenheit, sie berühren mich sehr emotional. In den vergangenen drei, vier Jahren sind viele traurige Dinge in unserem Leben passiert. Wir haben Freunde und Familienmitglieder verloren. ‚Signs‘ reflektiert das. Es gibt sogar Songs, die ich mir nicht jederzeit anhören kann, weil sie mich zu stark berühren und mich dann die Trauer übermannt. Diese Platte hat einen übergeordneten Spirit, ein Gefühl und einen Sound, den wir so noch nie hatten.
Auf ‚The Ending‘, das Colonel Bruce Hampton, der ein wichtiger Mentor für Susan und dich war, gewidmet ist, spielst du rudimentär auf einer Akustischen. Was hast du benutzt?
Das ist eine Gibson L-00 aus den Dreißigerjahren, schwarzes Finish, weißes Pickguard. Ich mag Parlor-Gitarren. Irgendwas am ihrem Sound fasziniert mich. Meine zweite Acoustic ist eine Martin 00-18 aus der gleichen Ära. Auf diesen Gitarren schreiben Susan und ich meistens.
Wir saßen an jenem Tag mit unserem Freund Oliver Wood auf der Veranda und jammten. Daraus entwickelte sich ‚The Ending‘ und wir hielten das als Demo fest. Diese Version besaß etwas wirklich Kraftvolles, Intensives, aber auch unfassbar Trauriges, so wie Susan sang – eine Version, die dir so nur einmal gelingt. Wir haben das Demo deshalb so gelassen, rau und ehrlich.
Wenn ich ehrlich bin, möchte ich diesen Song auch nicht mehr spielen, weil er mich zu sehr aufwühlt. Ich war total aufgelöst, als ich diese Version wieder im Studio hörte.
Du hast unlängst etwas Bemerkenswertes gesagt: Auch wenn viele Fans nicht wüssten, wie man Akkordfolgen aufbaut oder einen Song arrangiert, fühlten und verstünden sie jedoch intuitiv, wenn einem ein Song am Herzen liegt. Wie erreicht man das?
Das ist eine Sache, die beim Schreiben passiert. Du versuchst, mit einem Song Emotionen auszudrücken, auch wenn das nicht immer gelingt. Aber du schreibst trotzdem weiter, weil du etwas schaffen willst, das die Menschen berührt. Und da kommt wieder der Colonel ins Spiel, von dem ich diesen Gedanken habe: Ein Publikum versteht vielleicht nicht die Komplexität einer Komposition, aber es versteht deine Intention. Ob du etwas wirklich meinst, oder nicht. Die Fans fühlen, ob eine Band zusammenspielt, Fans merken, ob die Band gut drauf ist, sie spüren, ob das ein magischer Abend werden kann. Und wir versuchen, all das so oft wie möglich zu erreichen.
Neben den privaten Themen richtet ihr auch den Blick auf die Außenwelt und thematisiert die gegenwärtige Spaltung der amerikanischen Gesellschaft.
Es passieren gerade eine Menge negativer Dinge in unserem Land. Und wir als Musiker haben die Möglichkeit das aufzuzeigen und dem etwas Positives entgegenzusetzen. Es ist schon lustig: unmittelbar nach den letzten Präsidentschaftswahlen herrschte eine seltsame Stimmung in diesem Land. Zu dem Zeitpunkt lebte der Colonel noch. Und er sagte zu mir: „Well, music is important again“. Er hatte wie so oft Recht. Es ist unsere Pflicht, Probleme und Missstände anzusprechen.
(Bild: Shervin Lainez)
Schau dir unsere Band an: Wir sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und unterschiedlichster Herkunft, wir sind ein Abbild unserer Gesellschaft, die unser Land ausmacht – ein toller Mix unterschiedlichster Kulturen. Auch unsere Band ist auf ihre Art ein Statement.
Reden wir über Equipment. Du favorisierst bekanntlich Gibson-SG-Modelle, vornehmlich eine 61er Reissue mit Maestro Vibrola, dein eigenes Signature Model und ein Dickey-Betts-Limited-Edition-Modell (mit der Nummer #4), das dir Duane Allmans Tochter Galadrielle geschenkt hat.
Genau. Ich spiele seit einiger Zeit nur noch „Number 4“, sie ist auch auf ‚Signs‘ überall präsent. Ich fühle mich mittlerweile so wohl auf dieser Gitarre, dass ich kaum noch eine andere Gitarre angefasst habe. I‘m a one guitar guy! (lacht)
Wie versuchst du, dein Spiel voranzubringen, woran arbeitest du?
Das verändert sich stetig. Es gibt viele Dinge, an denen du arbeiten kannst. Manchmal versuchst du auf der Bühne etwas zu spielen, aber das kommt nicht so rüber, wie du dir das vorgestellt hast. Das sind die Nächte, wo du deine Gitarre noch mit aufs Hotelzimmer nimmst, um das nochmal zu üben. Oder du hast eine Phrase im Kopf und arbeitest daran, sie umzusetzen. Und manchmal arbeitest du einfach nur am Timing, um noch besser mit der Band zu Grooven.
Die Schönheit dessen, was ich machen darf, ist ein nie endender Prozess! Es gibt immer etwas, das du noch nie probiert hast oder etwas, das sich zu perfektionieren lohnt. Das sind vielleicht Kleinigkeiten, die von außen gar nicht wahrgenommen werden. Dennoch arbeite ich konstant an meinem Spiel. Egal wie gut du bist, auch wenn du magische Nächte erlebst, glaub nicht, dass du jeden Abend so spielen wirst! Es wird dir nicht gelingen. Es ist harte Arbeit dort zu bleiben, wo du gerade stehst.
Entwickelst du auch dein Slide-Spiel weiter? Hörst du die alten Blues-Meister?
Ich höre definitiv rückwärts gerichtet. Es gibt ja aktuell nicht gerade viele Slide-Player da draußen. Aber das Gute am Slide-Spiel ist, dass du dir Input aus vielen Ressourcen holen kannst, von Bläsern, Streichern, Sängern. Die menschliche Stimme ist das, woran ich zuerst denke, wenn ich Slide spiele. Im Grunde dient alles, was mikrotonale Musik ist als Input. Denk nur an indische Musik und deren Phrasierungen.
Du magst bekanntlich Fender Amps. Was kam diesmal im Studio zum Einsatz?
Susan und ich haben fast nur unseren 1963er Fender Deluxe benutzt. Das ist ihr Amp und er klingt einfach großartig. Wann immer wir ins Swamp Raga gehen, stöpselt sich Susan schnell zuerst ein und sagt „meiner“! (lacht) Sie spielt dann drüber und ich such mir einen anderen Amp. Aber das ist mit Abstand der beste Gitarrenverstärker den wir haben. Dann haben wir noch einen alten Vibroverb und einen Super Reverb Blackface, den wir gerne über ein Leslie schicken. Ich glaube, das ist ein Vibratone von Fender, das Ding hat einen fantastischen Sound. Außerdem hatten wir noch ein altes Echoplex. All das gibt deinem Sound noch ein bisschen mehr Luft.
(Bild: Shervin Lainez)
Du hast dich mit Jim Scott um das Aufnehmen und Abmischen von ‚Signs‘ gekümmert. Ihr habt zum ersten Mal eine Zwei-Zoll-Studer-Bandmaschine aus den Siebzigern benutzt. Das lässt euren Band-Sound noch natürlicher und wärmer klingen.
Seit wir unser Studio bauten, träumten wir davon, eines Tages ein Album mit einer Tonbandmaschine aufzunehmen. Wir haben lange gesucht und haben vor ein paar Jahren diese Studer-Maschine gefunden. Aber sie bedurfte einer Menge Arbeit und Wartung. Jim Scott und unser Techniker Bobby Tis haben mehr als ein Jahr damit zugebracht, sie komplett auseinanderzubauen, zu reinigen, Kondensatoren, Regler, Kanäle und überhaupt alles zu überholen, zu reparieren oder auszutauschen. Es war ein extrem spannender Prozess, zu erleben, wie sie die Maschine wieder zum Laufen kriegten.
Wir holten dann einen weiteren Tontechniker, der sie eingestellt und eingemessen hat. Als sie dann lief, war das ein besonderer Moment. Zum ersten Mal ein Album auf Tonband aufzunehmen war für alle ein Erlebnis. Es fühlte sich wirklich toll an, als alles im Studio vorbereitet war, all die guten alten Amps, Vorverstärker und Geräte – das war schon etwas Besonderes. Jeder in der Band hatte dieses besondere Gefühl, als es endlich losging. Alle wussten, wie viel Arbeit und Schweiß darin steckte. Alle waren total fokussiert. Und der Sound der Aufnahmen war wirklich großartig.
Es ist sicher eine Herausforderung, bei so vielen Musikern den Mix bestimmter Gruppen früh festzulegen, besonders bei so komplexen Nummern wie ‚Signs High Times‘ oder ‚Still Your Mind‘.
Absolut! Du musst sehr gut planen, du hast einfach keine unbegrenzte Zahl an Spuren. Es war unser Glück, mit Jim zu arbeiten, der ein echter Experte ist. Selbst, als wir noch digital aufgenommen haben, hat er darauf bestanden, bestimmte Entscheidungen in Sachen Sound früh festzulegen. Wenn du Entscheidungen früh triffst, arbeitest du anders. So behältst du das Gesamtbild, das große Ganze besser im Blick. Du kannst auch nicht unbegrenzt Takes einspielen.
Also fragst du dich: Krieg ich es besser hin, als beim ersten Take? Das ist die große Frage, bevor du die vorherige Version löschst. Oder wenn du ein neues Solo einspielen willst, solltest du die letzte Version übertreffen. (lacht). Es hat immer etwas finales, fühlt sich ein bisschen wie eine Live-Performance an. Ich denke, das hört man ‚Signs‘ an. Und klanglich – gerade das Schlagzeug, besonders die Cymbals – ist alles deutlich wärmer und weicher. Auch Susans Stimme klingt auf Tape viel besser. So hab ich mir das immer erträumt.
Ihr kommt in Kürze nach Deutschland auf Tour. Worauf können wir uns freuen?
Wir haben jetzt eine Menge Material, unsere Alben, dazu Songs von meiner und von Susans Band und nun Songs die wir noch nicht allzu oft live gespielt haben. Darauf sind wir schon ziemlich gespannt. Die Band ist in einer tollen Stimmung, alle sind ungeduldig, alle sind gut drauf. Wir haben noch keine Auswahl getroffen, aber wir werden die Setlists sowieso wieder von Show zu Show ändern. Und da wir die USA so ausführlich auf und ab bespielt haben, freuen wir uns mal wieder darauf in Europa zu touren. It should be a good one!
Vielen Dank für’s Gespräch! Wir sehen uns!
Discografie
- Revelator (2011)
- Everybody’s Talkin’ – Live (2011)
- Made Up My Mind (2013)
- Let Me Get By (2016)
- Live From The Fox Oakland – Live (2017)
- Signs (2019)
(erschienen in Gitarre & Bass 03/2019)