Wie man es schafft, dass sich Digital-Sounds natürlich anfühlen
Zu Besuch bei Red Panda
von Alexander Kern, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Alexander Kern)
Etwa einmal pro Jahr bringt Red Panda ein Pedal heraus. Wie zuletzt beim Tensor (siehe Test in Gitarre & Bass 10/2018) handelt es sich dabei oft um Effekte, deren Sounds und Bedienung so einzigartig und anders sind, dass sich ungekannte Herangehensweisen ans Instrument eröffnen. Wir haben bei Entwickler Curt Malouin nachgefragt, wie man das zustande bringt …
Um Red Panda annähernd zu verstehen, hilft es, sich mit der nordamerikanischen Stadt zu befassen, in der Firmengründer Curt Malouin aufgewachsen ist und bis heute lebt: Detroit im Bundesstaat Michigan, direkt an der kanadischen Grenze. Einst als Motor City oder Motown bezeichnet und zur Millionenmetropole gewachsen, wurden hier jahrzehntelang nicht nur Autos, sondern auch Soul-Hits (wie) am Fließband produziert. Damalige berühmte „Kinder der Stadt“ waren Aretha Franklin, Stevie Wonder, The Temptations, The Supremes, The Four Tops und viele mehr. Anfang der Siebzigerjahre zog Motown Records ins sonnige L.A. und auch die Autoindustrie verlagerte nach und nach ihre Produktion an günstigere Standorte.
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Etwa zur selben Zeit schafften Detroiter Künstler wie Alice Cooper, Suzi Quatro oder die Bands MC5 und Parliament-Funkedelic den Einstieg ins Business. Während das ganze Einzugsgebiet zunehmend zur Industrie-Brache verfiel, entwickelten Detroiter Underground-DJs wie Derrick May über mehrere Jahre hinweg kaum bemerkt einen elektronischen Musikstil, der später als Techno zur weltweiten Bewegung wurde. Jüngste Emporkömmlinge aus der zum Musterbeispiel für Scheitern und Verwahrlosung gewordenen Stadt waren der Rapper Eminem und Jack White von den White Stripes.
Diese sehr unterschiedlichen Musiker/-innen aus den Zeiten des Niedergangs fasst Curt Malouin in einer interessanten Theorie zusammen: „Es gibt harte Winter in Detroit und nicht viel zu tun. Dass es hier keine Szene gibt und damit die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden sehr gering ist, war für viele Künstler wahrscheinlich sogar förderlich. Denn sie alle hatten ihre Vision, ihren individuellen Stil bereits voll entwickelt, als sie herauskamen.“ – Diese Analyse lässt sich in gewisser Weise auch auf Malouin selbst übertragen.
ein leben für den code
Curt Malouin wuchs in den 70er-Jahren auf, als die Digitalisierung allmählich den Alltag der Menschen erreichte. Im Alter von zehn Jahren tauchte er mit einem Commodore VIC-20 autodidaktisch in die Welt des Programmierens ein. Er wuchs zum funky Musikmix der lokalen DJ-Legende Electrifying Mojo auf und begeisterte sich für damals moderne, inzwischen längst zu Vintage-Klassikern gewordene Hardware wie den Ensoniq Mirage Sampler, die E-mu Keyboard Workstation, die Akai MPC 60 Drum Machine, Synthesizer von Roland und Geräten von DigiTech.
Als er später an der Universität analoge und digitale Elektronik studierte, beschäftigte er sich mit Betriebssystemen und fing an, eigene Software-Synthesizer zu programmieren. Auf das Studium folgten 17 Jahre Brotjob als Informatik-Ingenieur, in denen Curt Analyse-Software für Autofirmen entwickelte. Wie im Audiobereich, dem er nach Feierabend treu blieb, sind dafür sehr viele Berechnungen nötig, sodass er über die Jahre so einige Tricks für die digitale Signalbearbeitung austüfteln konnte.
Die Entscheidung, mit Effektpedalen den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen, traf Curt, weil er es vermisste, mit Hardware zu arbeiten – und weil täglich sechzehn Stunden vor dem Computerbildschirm einfach zu viel waren. Einige analoge Pedale hatte er ja schon zu College-Zeiten gebaut. Mit mehreren, teilweise bis heute erhältlichen digitalen Modulen für das offene ToneCore-Format von Line 6 gelang es in der Anfangsphase, die üblichen Gründer-Herausforderungen zu überbrücken.
Das heißt: Ideen ausarbeiten, Lieferanten für Bauteile finden, sich bei Musikern und Händlern einen Namen machen. 2011 ging es dann so richtig los, stilecht mit in der Garage handgebohrten Gehäusen, die Leiterplatten noch komplett von Hand in Durchsteckmontage gelötet, das Marketing vor allem über Mundpropaganda und YouTube. Dass das funktionierte, mag einerseits an Maloins geduldiger Strategie des langsamen Wachstums liegen; andererseits definitiv an seinen genialen Designs, zu denen es im Markt oftmals nichts Vergleichbares gibt.
gamechanger und workhorses
Curts Debüt, das Particle Delay, basiert auf der Methode der Granularsynthese, wie sie in manchen Synthesizern angewendet wird. Dabei werden einzelne, sehr kurze Klangfragmente, sogenannte „Grains“, zu einem neuen Klang zusammengesetzt. In Curts Pedaldesign wird hierfür das Eingangssignal in Echtzeit zuerst in winzige Teile zerhackt, bevor es je nach den Einstellungen auf verschiedenste Weise durch Delays und/oder Pitchshifting verformt wird. Diese im Bodentreterformat neuen Möglichkeiten fanden in der Nutzer-Community bald Beachtung. Seitdem kam das Pedal, das bis heute Red Pandas Bestseller ist, auf den unterschiedlichsten Veröffentlichungen zum Einsatz.
Ob subtil genutzt für Mainstream-Musik oder radikal experimentell, bei den Anwendern finden sich „konventionelle“ Saiteninstrumente ebenso wie Touch Guitar oder Geige, sehr viele Spielarten künstlicher Drums, und sogar Exoten wie traditionelle afghanische Flöte. Malouin erklärt dazu, dass er generell nicht an spezielle Stile denkt, wenn er Klangwerkzeuge entwickelt. Vielmehr soll jedes davon eine eigene Identität haben, sodass Musiker in zwanzig Jahren noch gerne damit spielen.
Sein Fokus liegt auf neuartigen Sounds, die ausschließlich digital erzeugbar sind, sich in der Anwendung aber dennoch möglichst natürlich anfühlen. Und weil bei moderner Digitaltechnologie sehr flexibel definierbar ist, wie genau sich Regler verhalten und miteinander interagieren, kommt dem Usability-Design eine besondere Bedeutung zu. Dementsprechend kann die Ausarbeitung einer Idee und das anschließende Fine Tuning schon mal bis zu zwei Jahre dauern.
Weitere, gemäß diesen Ansprüchen realisierte Effekte sind der Bitmap Bitcrusher, das Raster Delay und das Context Reverb (Test in Ausgabe 07/2016). Rein praktisch orientiert sind die Pedale Bit Mixer und Bit Buffer (Test in 03/2017), deren kompakte Schaltungen Curt nachts austüftelte, als er eine Zeit lang an Schlaflosigkeit litt.
Das Anfang des Jahres offiziell herausgekommene Tensor veranschaulicht gut, wie Entwicklungsprozesse bei Red Panda ablaufen können. Denn ein erster Prototyp des Effekt-Designs, das irgendwo zwischen Tape Delay und multifunktionalem Phrase Sampler verortet ist, wurde schon auf der Winter Namm 2017 präsentiert. Darauf folgten intensive Tests mit zahlreichen Musikern, darunter Nick Reinhard, bekannt als Gitarrist von Tera Melos sowie aus dem YouTube-Kanal „Pedals and Effects“, oder der Bassist Jonathan Hischke von Dot Hacker.
Nach deren praxisnahem Feedback haben sich die Funktionen und Parameter der Bedienoberfläche nochmals deutlich verändert, sodass im Endprodukt nun die Geschwindigkeit und Richtung, sowie die Tonhöhe kurzer Sample-Phrasen in Echtzeit beeinflussbar sind. Eine weitere Optimierung ist, dass der Random-Regler keine rein zufälligen Verzierungen vornimmt. Stattdessen analysiert das Tensor fortwährend, was gerade gespielt wird, und trifft eine intelligente Auswahl, wie es sich dazu passend verhalten kann.
Nicht zuletzt hat sich auch das Äußere des Pedals verändert, sodass es nun Curts Idealvorstellungen entspricht: Das custom-gefertigte Gehäuse hat die kleinstmögliche Größe, um stirnseitig drei Klinkenbuchsen sowie einen USB-MIDI-Anschluss unterzubringen; gleichzeitig ist es etwas breiter, sodass zwischen den zwei Fußtastern für die Hold- oder On/Off-Aktivierung ausreichend Platz ist. Die ebenso custom-gefertigten Regler aus Gummi sind für intensivste Beanspruchung ausgelegt, im Inneren ist Platz für zwei Lagen Leiterplatten.
Das Ziel ist es, dieses vorteilhafte Format auf das bestehende Effektpedal-Sortiment zu übertragen. Der Re-Release des Particle, das für die bessere Live-Nutzung um Tap Tempo, Freeze-Funktion, Presets, und MIDI-Steuerung ergänzt wurde, ist noch in diesem Jahr geplant.
status quo: alles gut
Auf der Produktionsseite hat Red Panda eine mehrjährige Findungsphase abgeschlossen. Das heißt, von der effizient automatisierten Herstellung der Leiterplatten bis zur Pulverbeschichtung der Gehäuse können mittlerweile fast alle Schritte mit lokalen Partnern realisiert werden. Das Bedrucken der Pedale mit hochauflösenden Farbgrafiken geschieht mit einem UV-LED-Laserdrucker direkt am 2013 bezogenen Standort. Der befindet sich in der Green Garage, einer Art Gemeinschaftsbüro in einem nachhaltig renovierten Industriegebäude in Midtown.
Die Gegend – vor einigen Jahren noch heruntergekommen, inzwischen ein weitgehend sicheres „walkable neighborhood“ – ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Detroit allmählich erholt und Raum für kreative Konzepte entsteht. Malouin schätzt vor Ort den „interessanten Mix aus Künstlern, Studenten der Wayne State University, Kriegsveteranen und Obdachlosen“. Diese spannende Atmosphäre wird für den Besucher unmittelbar spürbar: Gleich um die Ecke finden sich zum Beispiel Jack White‘s Third Man Plattenpresserei, Museen und kleine Ausstellungen, Craft-Beer-Brauereien und Bars, dazwischen immer wieder Großstadtruinen.
Von den Produktionszahlen der großen Autohersteller, die hier einmal regierten, ist Red Panda als Kleinunternehmen mit einer Handvoll Mitarbeitern zwar noch weit entfernt, doch die Effekt-Designs sind ziemlich alleinstehend im Markt, die internationale Nachfrage somit groß. Nun freut sich Malouin darauf, endlich wieder mehr Zeit für die Entwicklung ambitionierterer Projekte aufwenden zu können, denn er hat noch tonnenweise Ideen in petto. Damit diese zu ausgereiften Produkten werden, folgt er weiterhin seiner 1-Pedal-pro-Jahr-Philosophie.
Mehr Infos zu allen genannten Effektpedalen und Malouins Blog finden sich auf www.redpandalab.com.