Es gibt zwei unbestrittene Kultalben der Progressive-Rock-Legende Camel: ‚The Snow Goose‘ aus dem Jahr 1975 und ‚Moonmadness‘ von 1976. Mit einer ‚Snow Goose‘- Neuauflage war die englische Gruppe 2013 auf Tour, jetzt hat sie eine Art ‚Moonmadness‘-Revisited-Tour folgen lassen.
Wir haben uns mit Gitarrist/Sänger und Gründungsmitglied Andy Latimer und dem Bassisten Colin Bass bei ihrem Konzert in Groningen getroffen und mit ihnen über alle wichtigen Details dieser aufsehenerregenden Tour gesprochen.
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Interview
Andy, welches Verhältnis zu ‚Moonmadness‘ hast du heute, 40 Jahre nach seiner Veröffentlichung?
‚Moonmadness‘ war bekanntlich der Nachfolger von ‚The Snow Goose‘, unserem bis dahin erfolgreichsten Album. Also lag ein entsprechender Druck auf unseren Schultern. Gemeinsam mit unserem Keyboarder Peter Bardens entschied ich damals, kein weiteres übergeordnetes Konzept zu verfolgen, sondern stärker auf die Individualität der vier Bandmitglieder zu setzen. Deshalb gibt es auf ‚Moonmadness‘ unter anderem vier Songs, die zu 100% dem jeweiligen musikalischen Gusto von Peter, Doug (Ferguson, Bass), Andy (Ward, Schlagzeug) und mir entsprechen.
Ich habe viele schöne Erinnerungen an die Entstehung, möglicherweise auch deshalb, weil es relativ schnell und unkompliziert verlief. Für ‚The Snow Goose‘ brauchten wir deutlich länger und tourten danach allein in Amerika drei Monate lang. Interessanterweise wurde ‚Moonmadness‘ ein kommerziell noch größerer Erfolg als ‚The Snow Goose‘. Ich erinnere mich an eine tolle Zeit, in der wir sehr viel Spaß und kaum persönliche Probleme hatten. Die fingen erst später an.
(Bild: Matthias Mineur)
Aus der Originalbesetzung bist du der letzte Verbliebene.
Stimmt, aber wir schaffen es mit der neuen Besetzung, uns eng an die originale Vorlage zu halten, weshalb die Fans die Show lieben.
Kannst du dich noch an dein damaliges Equipment erinnern? Deine legendäre Les Paul war auf alle Fälle dabei, soviel steht fest.
Das stimmt. Damals spielte ich über zwei Fender Bassman mit 4x12er-Boxen und zwei Vox AC30. Hinzu kam ein altes Echoplex, ein Wah, entweder Vox oder CryBaby, und eine Fuzz Box, die mir allerdings später gestohlen wurde. Damals hatte man noch nicht so viele Effektpedale. An ein Distortion-Pedal kann ich mich beispielsweise überhaupt nicht erinnern, man erzeugte die Verzerrung einfach mit dem Amp, den man im Studio so laut wie möglich aufdrehte und so das gewünschte Sustain bekam.
Übrigens spielte ich damals noch vergleichsweise dünne Saiten, nämlich einen .009er-Satz. Zu dickeren Saiten wechselte ich erst etwa zehn Jahre später.
Bild: Matthias Mineur
Latimers Gitarrentechniker Derek ´Del` Haggar
Bild: Matthias Mineur
Latimers Pedalboard mit Strymon Flint, Boss DD-3 Digital Delay, Line 6 DL-4 Delay Modeler, Strymon Deco, Jetter Gain Stage, Hermida Zendrive, Proco Rat Distortion, Boss TU-3 Tuner und Whirlwind Selector A/B-Box
Bild: Matthias Mineur
Fender Twin
Reverb
Ist deine Les Paul noch im Originalzustand?
Nein. Sie hat im Laufe der Jahre einige Veränderungen mitgemacht. Vor allem ist die Decke neu, denn ursprünglich hatte die Gitarre Mini-Humbucker, die ich jedoch relativ schnell gegen reguläre Humbucker austauschen ließ.
In welchem Jahr wurde sie gebaut?
1970 oder 1971, so ganz genau weiß ich es nicht. Sie ist also nicht super alt. Aber mich stört das nicht, zumal ich herausgefunden habe, dass die Les Pauls aus den 60ern und auch die legendäre 1959er relativ dicke Hälse haben und daher für meine Hände eher ungeeignet sind. Deswegen suche ich eigentlich noch ein oder zwei weitere Modelle, die genauso beschaffen sind wie meine.
Vor vier Jahren auf der ‚Snow Goose‘-Tour hattest du auch eine sehr schöne 87er Burny Super Grade dabei. Besitzt du sie noch?
Oh ja, natürlich. Aber während der letzten Tour in Japan bekam ich einen Leistenbruch, und die Burny wiegt knapp ‘ne Tonne. (lacht) Ich liebe ihren Sound, aber sie war einfach zu schwer, sodass mir bei den Konzerten in Israel und der Türkei der gesamte Oberkörper schmerzte. Als ich zurück in London war, erklärten mir die Ärzte, dass ich mich unbedingt operieren lassen müsse. Das ging aber nicht, denn wir waren inmitten einer fest gebuchten Tour. Also gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir brechen die Tour ab oder aber ich spiele wieder auf meiner deutlich leichteren Les Paul und setze mich während der Shows auf einen Hocker. Eine schwierige Entscheidung, denn in 50 Jahren als Berufsmusiker habe ich noch nie während einer Show gesessen. Ich habe mich aber dafür entschieden und mich gleichzeitig direkt nach Ende der Tour beim Arzt zur OP angemeldet.
Colin Bass, euer Bassist, hat mir erzählt, dass er wegen des tollen Bass-Sounds auf ‚Moonmadness‘ von Finger auf Plektrum gewechselt hat.
Doug spielte damals einen Fender Jazz Bass mit den ultimativ dicksten Saiten, die man zu jener Zeit bekommen konnte. Ich habe ihn kurz vor der Tour angerufen und gefragt, ob er das Album mit Plektrum oder mit Fingern gespielt hat. Er behauptet, es sei ausschließlich mit Fingern gewesen, was ich aber nicht so recht glauben kann. Allerdings könnte es sein, dass zumindest einzelne Parts mit den Fingern gespielt wurden.
5 Fragen an Bassist Colin Bass
Colin, welches persönliche Verhältnis hast du zu den originalen ‚Moonmadness‘-Aufnahmen?
Ich bin bekanntlich erst 1979 bei Camel eingestiegen und deshalb auf dem ‚Moonmadness‘-Album noch nicht zu hören. Und um ehrlich zu sein, kannte ich Camel vor meinem Einstieg auch nicht sonderlich gut. Ich spielte eines Tages mit meiner damaligen Band in London im Vorprogramm von Camel und lernte sie dabei kennen. Aber ich muss zugeben, dass ich seit meinem Einstieg die ‚Moonmadness‘-Stücke ganz besonders liebe, zumal wir ‚Song Within A Song‘ und ‚Lunar Sea‘ auf nahezu jeder Camel-Tour seit 1979 gespielt haben.
Wie hast du dich den Songs für die aktuelle Tour genähert?
Bei ‚Song Within A Song‘ und ‚Lunar Sea‘ habe ich im Laufe der Jahre eine eigene Interpretation der Bass-Parts entwickelt. Doch als wir jetzt die gesamte Scheibe auf die Bühne bringen wollten, habe ich mich intensiv mit den Parts meines Vorgängers Doug Ferguson auseinandergesetzt. Mir fiel auf, wie sehr mir sein genereller Sound gefällt und dass dieser in nicht unerheblichem Maße auf dem Einsatz eines Plektrums basiert. Normalerweise spiele ich ausschließlich mit Fingern, für ‚Moonmadness‘ habe ich jedoch auf Plektrum umgestellt.
Gibt es demnach keinerlei Unterschiede zwischen den originalen Bass-Parts und deiner Version?
Die Arrangements sind auf jeden Fall gleich geblieben. Aber vermutlich klingt mein Spiel ein klein wenig jazziger und funkiger.
Hast du dich für diese Tour auch an Fergusons damaligem Equipment orientiert?
Nein. Ich spiele das gleiche Equipment wie auf den letzten Camel-Touren und ändere nur die Poti-Einstellung an meinem Bass ein klein wenig. In erster Linie, weil ich jetzt mit einem Plektrum spiele.
Ansonsten bist du weiterhin Viersaitern treu geblieben, nicht wahr?
Richtig. Mein Motto lautet: four strings good, five strings bad. (lacht) Ich bin da oldschool und stehe auf die klassische Bass-Konfiguration. Das passt zu Camel im Allgemeinen, und zu ‚Moonmadness‘ im Besonderen.
Bereits 2013 während der ‚Snow Goose‘-Tour hast du ein neues Camel-Album in Aussicht gestellt. Was ist daraus geworden? Kannst du den Fans Hoffnung machen?
Wir haben in der aktuellen Besetzung bereits einige neue Stücke geschrieben und zwei davon während der Japan-Tour auch schon live gespielt. Leider wurde ich dann krank, sodass wir die Setlist kürzen mussten. Dabei wurden als erstes die beiden neuen Stücke gecancelt, da die Fans natürlich vor allem die Klassiker hören möchten. Aber es stimmt, dass es mehrere neue Songs gibt, die wir nur noch aufnehmen müssen. Pete und ich schicken uns ständig irgendwelche Files via Internet hin und her.
Danke Andy, für das nette Gespräch, und dir gesundheitlich nur das Beste!