Während die Welt eigentlich auf eine neue Veröffentlichung des texanischen Bluesrock-Trios ZZ Top wartet, präsentiert ihr Gitarrist Billy Gibbons erst einmal sein neues Soloalbum. Das trägt den programmatischen Titel ‚The Big Bad Blues‘ und kombiniert eine knappe Handvoll archaischer Blues-Klassiker mit neuen Gibbons-Songs. Wir haben den 68- Jährigen dazu befragt.
Interviews mit Billy Gibbons sind ein zeitaufwendiges Unterfangen, bei dem man als Journalist nicht die Geduld verlieren darf. Dies liegt nicht etwa daran, dass der Gitarrenrauschebart der US-Bluesrocker ZZ Top unpünktlich oder gar unzuverlässig ist. Nein, menschlich und terminlich ist auf den Mann Verlass. Aber: Er spricht verdammt langsam!
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Wenn Gibbons beispielsweise nach aktuellen Mitmusikern, Produzenten, Vorbildern oder Ähnlichem gefragt wird, gehen die – in wunderbar sonorem Ton vorgetragenen – Antworten in etwa wie folgt: „Well … (lange Pause) … there is … (nächste Pause) … Mister … James Harman … from … (Pause) … California … he is … a … (lange Pause) … great guy … with a … (noch längere Pause) … great sense of … humor … and … (kurze Pause) … great musicianship. … Well … (kurze Pause) … he visited us …. (Pause) … in the studio … and … (lange Pause) … played some great chords … which means … (Pause) … he follows the rules … (Pause) … of a … great … (lange Pause) … art … form … which we all call … eh … (lange Pause) … the Blues.“
Und, zack, sind die ersten zwei Minuten eines sowieso zeitlich knapp bemessenen Interviews vorbei. Als Journalist liebt man solche Statements dennoch in jeder Sekunde. Denn Gibbons ist unglaublich höflich und freundlich, beantwortet jede Frage, weicht nie aus und spricht exakt so, wie er singt: entspannt, einem eigenen Rhythmus folgend, humorvoll und mit der Gelassenheit eines Musikers, der niemandem mehr etwas beweisen muss, nicht einmal sich selbst.
Weshalb ich all dies erzähle? Weil es verdeutlicht, dass die Menge an Informationen, die man im Rahmen eines normalen Interviews mit Mister Billy Gibbons bekommt, nicht mit dem Output üblicher Musikergespräche vergleichbar ist. Dies vorausgeschickt sollte man alles umso mehr genießen: die Musik seines neuen Soloalbums ‚The Big Bad Blues‘, sein weiterhin unglaublich cooles Gitarrenspiel, seine tiefschwarze Gesangsstimme, aber auch seine fundierte Einschätzung des Blues generell und seine Ausblicke auf weitere ZZ-Top-Veröffentlichungen.
(Bild: Blain-Clausen)
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Mister Gibbons, während ‚The Big Bad Blues‘ stilistisch eindeutig in Ihrer Homezone angesiedelt ist, war der Vorgänger ‚Perfectamundo‘ von etwas anderem künstlerischen Kaliber. Waren Sie vor vier Jahren ein wenig vom Kurs abgekommen?
Nein. ‚Perfectamundo‘ hatte einfach eine andere Vorgeschichte. Ich bekam vor einigen Jahren eine Einladung zum Havanna Jazz Festival in Kuba. Für mich stand fest, dass ich auf einem Jazz-Festival nicht mit einer Rock’n‘Roll-Party aufkreuzen kann. Deshalb entschied ich mich, aus Respekt vor der großartigen Musikkultur Kubas, etwas Neues zu kreieren. Denn auch wenn darüber nicht häufig gesprochen wird: Die kubanische Musik hat Einzug gehalten in unterschiedliche Musikströmungen, nicht nur in zeitgemäße Popmusik, sondern auch in Rock und sogar Blues. Also stellte ich eine Band zusammen, mit der ich in Kuba spielen kann.
Zu meiner großen Überraschung hatte dieser Auftritt und auch der Mitschnitt der Show großen Erfolg, sodass Mister John Burk, der Präsident von Concord Records, zu mir sagte: „Hör mal G-Wiz, diese Sparte haben wir mit großem Erfolg abgedeckt, ich denke aber, dass wir keinen zweiten Aufguss davon brauchen, sondern beim nächsten Mal wieder zurück zu deinen Blues-Wurzeln gehen sollten.“ Ich riss vor Begeisterung die Arme in die Luft und rief: „Dort habe ich angefangen und dort stehe ich noch heute! Lasst es uns anpacken!“
Sind Ihre Blues-Wurzeln der Grund, weshalb Sie eigene Kompositionen mit einigen Blues-Klassikern kombiniert haben? Sind sie eine Art Tribut an die musikalischen Helden ihrer Vergangenheit?
Nun, ich würde das mal als glücklichen Zufall bezeichnen. Bis zum ersten Tag im Studio war nichts fest geplant oder vorbesprochen. Als ich ankam setzte ich mich mit den beiden Toningenieuren Joe Hardy und G. Moon zusammen, um die Lage zu besprechen. Zufälligerweise kam der großartige Schlagzeuger Greg Morrow zu Besuch. Er hatte gerade drei Tage frei von einer langen Tournee, und ich sagte zu ihm: „Wenn du schon mal da bist, hier sind die Drums-Sticks, ich schnappe mir eine Gitarre, Joe greift sich einen Bass, lasst uns was jammen.“
Am dritten Tag kam es zu zwei weiteren unerwarteten Besuchen: James Harman aus Kalifornien schaute spontan vorbei, ebenso Mike Flanigin aus Austin, Texas, ein wundervoller Hammond-B-3-Spezialist. Die Krönung aber war, dass auch Matt Sorum nach Texas kam und zusammen mit Austin Hanks aus Alabama und Elwood Francis einige wunderbare Parts eingetrommelt hat. Am Ende des dritten Tages, als die meisten wieder abreisen mussten, sagte Joe Hardy: „Bevor sich diese nette Runde jetzt wieder auflöst, wollt ihr mal hören, was wir in den letzten drei Tagen geschaffen haben?“ Ich fragte: „Was meinst du damit?“ Er darauf: „Oh, hab ich dir das nicht erzählt? Wir haben die gesamten drei Tage mitgeschnitten.“
In dieser Zeit haben wir überwiegend Blues-Klassiker gespielt, wir liebten unsere Versionen von Muddy Waters ‚Rollin‘ And Tumblin‘‘ und ‚Standing Around Crying‘, ein echter Slow-Slow-Blues, zudem die beiden anderen Coverversionen, nämlich Bo Diddleys ‚Crackin‘ Up‘, das interessanterweise ein kubanisches Flair bekommen hat, und ‚Bring It To Jerome‘, in dem wir Bo Diddleys legendärem Rumba-Rassel-Spieler Jerome Green huldigen. Diese vier Nummern haben es auf das Album geschafft, und sie atmen ein unglaublich natürliches, spontanes Flair, weil wir, wie erwähnt, nicht wussten, dass unsere Jamsessions mitgeschnitten werden. Für uns stand damit fest, dass man sie der Öffentlichkeit präsentieren muss.
(Bild: Blain-Clausen)
Was sind aus Ihrer Sicht die signifikantesten Unterschiede zwischen den Coverversionen und Ihren eigenen Songs?
Wenn man einen Blues-Klassiker covert, hofft man, dass einem eine akzeptable Interpretation gelingt, die zur Originalidee passt. Als wir feststellten, dass unsere Interpretationen diesem Anspruch gerecht werden, nahm ich einen Stift und ein Blatt Papier in die Hand, um mir ein paar Notizen zu machen, und stellte fest, dass die Urväter des Blues ein großartiges Erbe hinterlassen haben.
Die besondere Herausforderung für die nachfolgende Generation ist nun, etwas Glaubwürdiges mit einer natürlichen Emotion zu kreieren, mit der die geheime Sprache des Blues nachempfunden werden kann. Also nahmen wir diese Idee mit ins Aufnahmestudio, und dank der lockeren Atmosphäre unter uns Musikern konnten wir einen in dieser Hinsicht tollen Fortschritt und eine moderne Interpretation der Kunstform Blues machen.
Hat sich diesbezüglich und im Vergleich zum Anfang Ihrer Karriere etwas an Ihrem Geschmack, Ihrem Stil, Ihrem eigenen Anspruch verändert? Stehen Sie immer noch auf den gleichen Sound, die gleichen Instrumente wie damals?
Zwei Antworten zu dieser Frage: Ich spiele immer noch Pearly Gates, meine 59er Sunburst Les Paul, die mich schon mein ganzes musikalisches Leben begleitet. Bei den Verstärkern sind es weiterhin Marshalls und Fenders, aber auch – als jüngste Errungenschaft – der Magnatone Super Fifty-Nine. Aber so ganz neu ist auch der nicht mehr, wie du ja vielleicht weißt. Letztendlich kam für ‚The Big Bad Blues‘ exakt das Equipment zum Einsatz, das für den – wie ich es nenne – ZZ-Top-Sound verantwortlich ist. Es war schön zu hören, dass diese Instrumente auch zu der neuen Soloscheibe passen.
Umso erfreulicher, da Dusty und Frank zur gleichen Zeit anfingen, erste Arbeiten am kommenden ZZ-Top-Album vorzunehmen. Und zwar Wand an Wand mit den Aufnahmen zu ‚The Big Bad Blues‘. Ich war im rechten Flügel des Studios und sie im linken. Sie sagten zu mir: „Während du dich um deine Blues-Scheibe kümmerst, testen wir schon mal erste Ideen für das nächste ZZ-Top-Album.“ Beide Projekte besitzen eine ganz eigene Energie, sodass auch etwas völlig Unterschiedliches dabei herauskommt.
Um noch einmal auf deine Frage zurückzukommen: Heutzutage sind die Aufnahmeverfahren deutlich schneller. In unserem Fall wurde altes analoges Equipment mit nagelneuen Geräten kombiniert, ein Hybrid, das auf ganz wunderbare Weise funktioniert hat. Denn es ist uns gelungen, die Simplizität der Kunstform Blues beizubehalten, und sie mit ein wenig Rock, ein wenig ZZ Top und der „gibbonized combination“ dieser beiden Welten zu mischen. Großen Anteil daran hatten auch die meisterhaften Studioingenieure Joe Hardy und G. Moon, die für eine gelöste Atmosphäre gesorgt und damit aus allen Beteiligten das echte Gefühl für den Blues herausgekitzelt haben. Das ist auch der Grund, weshalb diese sehr unterschiedlichen Songs dennoch über einen homogenen, in sich geschlossenen Sound verfügen.
(Bild: Mineur)
Hab ich das gerade richtig verstanden: Sie arbeiten derzeit auch an einem neuen ZZ-Top-Album?
Ja, durch einige glückliche Zufälle sind diese beiden Produktionen quasi zeitgleich über die Bühne gegangen.
Bei einem derart direkten Vergleich: Ist die Zusammenarbeit mit ZZ Top, also mit Dusty Hill und Frank Beard, einfacher als mit Musikern, mit denen Sie nur dann und wann spielen? Wie wichtig ist Erfahrung in diesem Zusammenhang?
Nun, letztlich ist beides in gleichem Maße einfach oder schwer. Es geht einfach darum, Abend für Abend auf der Bühne sein Bestes zu geben und der Musik, die man so liebt, zu huldigen. Das ist im Fall mit Dusty und Frank immer wieder großartig, aber gleiches kann ich auch über meine Soloband mit Austin Lefthand Hanks und Schlagzeuger Matt Sorum sagen. Wir lieben es, gemeinsam zu spielen ohne zu wissen, was passiert, wenn einer von uns völlig ungeplant plötzlich in Bereiche abdriftet, von denen niemand weiß, wohin sie führen. (lacht) Es kribbelt einem immer wieder in den Fingern und ich weiß, dass dies allen mächtig Spaß macht.
Apropos Kribbeln: Es heißt, dass Gary Moore dem Blues die Lautstärke gebracht hat. Was, würden Sie sagen, sind Ihre Verdienste für diese Musikrichtung?
Ich denke, dass für mich das Gleiche gilt wie für Gary Moore. Wenn man diese Kunstform zelebriert, kann ich mich dem Motto „play it loud, play it proud“ (zu Deutsch: Spiel es laut und mit Überzeugung) nur anschließen. Es ist so, wie es Keith Richards mal zu mir gesagt hat: „Wir alle lieben die Simplizität dieser Musik. Nur drei Akkorde, und unser Job ist es, sie mit so viel Leben wie möglich zu füllen, ohne das natürliche Grundgefühl zu verändern.“
Bedeutet das, der Blues hat sich in den zurückliegenden 50 Jahren nicht grundlegend verändert oder weiterentwickelt? Hat er heute noch die gleiche Bedeutung für die einfachen Menschen wie in den 1950ern und 1960ern? Ist der Blues immer noch vorrangig die Musik der armen schwarzen Afro-Amerikaner?
Ich denke, dass diese Kunstform heute für Menschen in der ganzen Welt von großer Bedeutung ist. Das Geheimnis seiner Simplizität scheint Menschen überall tief zu berühren. Der Blues ist in der Lage, nicht mehr und nicht weniger als die höchsten und die tiefsten Gefühle und alles, was dazwischen liegt, zu artikulieren. Er fing mit einfachsten Emotionen an und hat sich mittlerweile auf unterschiedlichste Felder ausgedehnt. Der Blues begeistert zahllose Menschen auf der ganzen Erde, ohne dass man je erklären konnte, woran dies liegt. Man kann es sich nur damit erklären, dass jeder von uns sowohl durch Hochphasen als auch durch Tiefpunkte geht, und sich all dieses perfekt im Blues artikulieren lässt.
Hoffentlich demnächst auch mal wieder in Deutschland! Kommen Sie mit ‚The Big Bad Blues’ auf Tour?
Derzeit werden gerade Shows in Amerika gebucht, und es scheint, dass es auch eine gute Chance gibt, diese kleine Bluesband rund um den Globus zu schicken.
Das sind wirklich gute Nachrichten, Mister Gibbons! Ich drücke uns allen die Daumen!