Röhre vom Feinsten!

Test: Rocktron ValveSonic Plexi

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(Bild: Dieter Stork)

Mit seiner inzwischen über 30-jährigen Historie steht der Name Rocktron wie kaum ein zweiter für klug designte, maximal zweckorientierte Gitarren-Elektronik. Dieser Preamp hier unterstreicht das nachdrücklich. So etwas hat es als Serienprodukt noch nicht gegeben. Eine klassische Röhrenschaltung, die mit diversen, vom Nutzer manipulierbaren Mods, über sich hinauswächst.

Wir schreiben das Jahr 1983. Zwei US-Musiker, Bob Waller und Jim Chowning, starten nach Jahren „on the road“ die Firma Rocktron. Es dauert nicht lange, bis sie mit einem genialen Noise-Gate für Gitarristen einen wahren Kracher landen: das Hush nimmt den Markt im Sturm und wird bis heute als wertvolles Tool betrachtet. Vereinfacht ausgedrückt, bewirkt es eine frequenzdynamische Rauschunterdrückung, die das Signal weich ausblendet anstatt es hart abzuschneiden.

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Es folgt – im Sog der Ära der 19″-Racksysteme – eine Entwicklung, die man als Siegeszug bezeichnen kann. Die Liste der damaligen prominenten User liest sich wie das Who is Who der E-Gitarrenwelt. Geschätzte Klassiker aus dieser Zeit sind, um nur einige wenige zu nennen, das Patchmate (programmierbarer Signal-Looper, aktuell überarbeitet nach wie vor im Programm), das noch immer konkurrenzfähige Intellifex (DSP-Effekte, aber analoger Dry-Signalweg!) und das Pro-Q, ein programmierbarer DSP-Stereo-EQ. Na, und was eint die drei? Natürlich haben sie alle ein Hush.

Das aktuelle Programm bietet dem Gitarristen nicht minder praxiseffiziente Produkte. Vom Effektpedal über Verstärker und Boxen bis zu MIDI-Controllern spreizt sich die Palette. Das Thema analoge Amps/Preamps war allerdings zuletzt eher sparsam besetzt, es gab/gibt nämlich lediglich das Topteil Vendetta 100 und den High-Gain-Metal-Preamp Widowmaker.

Vorwort

Der ValveSonic hat ein berühmtes Leitbild im Visier, was sich im Namenszusatz und dem damit korrespondierenden Design der Alu-Frontplatte widerspiegelt: „Plexi“. Die magischen fünf Buchstaben beschreiben den Inbegriff des britischen Vintage-Sounds. Gemeint sind damit, wie wohl die meisten Kollegen wissen werden, die Marshall-Verstärker der späten 1960er-Jahre – und hier insbesondere das Modell Superlead – die vorne und hinten goldfarbene Plexiglas-Panels hatten.

Die Idee, Marshalls Schaltungsdesign variabler zu machen bzw. zu optimieren ist so alt wie die Amps selbst. Mehr Gain, sprich Signalvorverstärkung für intensivere Verzerrungen und mehr Variabilität in der Tonformung durch Eingriffe in die Klangregelung usw. waren schon damals oft gefragt. Heute, vier Dekaden später, sind Dutzende von Marshall-Mods bekannt, die Boutique-Amp-Szene hat mit entsprechenden Ansätzen eigene Verstärker-Modelle hervorgebracht. Um nur drei der edelsten Marken zu nennen: Diezels VH4 ist im Grunde ein aufs Äußerste optimierter Frühzeit-Marshall, Dave Friedman hat vor einiger Zeit mit dem Brown-Eye ein massives Statement zum Thema abgegeben.

Rocktron nähert sich der Aufgabe mit eigenen, man kann durchaus sagen innovativen Ansätzen. Im Fokus steht das Variieren der Gain-Struktur, d. h. mit den diversen zusätzlichen Bedienungselementen werden u. a. Trioden- bzw. Verstärkungsstufen wahlweise aktiviert oder aus dem Signalweg herausgenommen. Oder anders ausgedrückt: Der Plexi-Superlead arbeitet je Inputkanal mit drei Trioden. Der Valvesonic hat derer acht zur Verfügung! Dementsprechend sind vier Röhren in dem Preamp aktiv (Typ 12AX7EH).

Umfangreiche Ausstattung. Ein Highlight: der Afterburner. (Bild: Dieter Stork)

Komplex

Kontrolliert wird die Gain-Struktur zunächst in zwei Stufen mit zwei Boost-Schaltern. Zum anderen liefert die ebenfalls Ein/Aus-schaltbare „Afterburner“-Sektion Signalverstärkung. Mit einem interessanten Ansatz, denn sie soll (den Infos nach) die funktionalen Eigenschaften nachbilden, die ein Master-Volume hinter der Phasentreiberstufe bewirkt. Interessant deshalb, weil die Phasentreiberstufe erheblichen Anteil an den Sättigungsverzerrungen eines hoch ausgesteuerten Röhrenverstärkers hat. Und nicht unerheblich seinen Toncharakter formt.

Die übrigen Bedienungselemente nehmen auf die Frequenzkurve der Signale Einfluss. Rechts neben der Input-Buchse wählt der obere Schalter (1/2) zwischen einem maximal voluminösen und etwas verschlanktem Pre-Shaping. Der untere namens Tight gehört mit zum Team und macht die Ansprache straffer. Es folgt ein 6-Positionen-Drehschalter. Nennt sich Bright, tut aber, wie wir noch sehen werden, für den Sound mehr als nur den Höhengehalt zu variieren.

Bass, Middle und Treble bilden die typische passiv-interaktive Klangregelstufe. Doch auch ihre Funktion ist veränderbar, weil rechts daneben der EQ-Schalter die Wahl zwischen zwei verschiedenen Tone-Stacks erlaubt – Modern-EQ, Vintage-EQ. Damit nicht genug steht auch noch ein High-Cut-Poti zur Verfügung, das, in seiner Wirkung ähnlich wie beim Vox AC30, die Brillanz der höchsten Frequenzen im Zaum hält.

Viel Zeug an der Front, üppige Ausstattung, hinten passiert dafür herzlich wenig – normal bei 19″ Geräten. Ein zweiter Input, und zwei Ausgänge mit unterschiedlicher Pegelstärke (Instrument/ Line) und die Netzbuchse, das war’s. Und die Röhren sind hier ohne große Fummelei zugänglich, praktisch.

Zum Aufbau: Die Elektronik ist in einem sehr stabilen Aluminiumgehäuse untergebracht. Neun kleine Schrauben lösen, schon kann man den Deckel abnehmen. Wir sehen Module in Platinenbauweise mit einigem Aufwand an zusätzlicher Verdrahtung, alles einwandfrei gemacht.

Und absolut frei von Halbleiterbauteilen, wenn man die (erfreulicherweise) überdimensionierten Dioden im Netzteil außen vor lässt. Ein wegen seiner Bauweise streufeldarmer Ringkerntrafo liefert die Versorgungsspannungen.

Mechanisch und elektrisch macht der Aufbau einen grundsoliden Eindruck und lässt langfristig zuverlässige Funktion erwarten. Sonst noch irgendwelche Besonderheiten? Nein. Aber die Beschriftung der Hauptplatine ist bemerkenswert: es sind drei weitere ValveSonic- Typen genannt, Top Boost (Vox?), Black Face (Fender?), High Gain. Scheint so, als ob noch weitere Modelle erscheinen werden.

(Bild: Dieter Stork)

Spagat

Es gibt leichtere Aufgaben als das Tonspektrum des ValveSonic Plexi zu beschreiben. Einfach, weil sich die Vielfalt an Klangfarben ziemlich weit auffächert. Die an dieser Stelle erschöpfend darzustellen bzw. die Wirkung jedes Schalters in seiner Interaktion ist schlicht unmöglich. Wenden wir uns also den primär bedeutsamen Faktoren der Sound-Formung zu.

Eine große Rolle spielen die beiden Boost-Schalter, mit deren Hilfe zunächst einmal drei Gain-Ebenen zur Verfügung stehen, die natürlich nicht nur unterschiedliche Verzerrungsintensitäten bereitstellen, sondern auch den Sound beeinflussen. Aber anders als es sonst oft der Fall ist, treten beim Boosten nicht die (oberen) Mitten und/oder Höhen betont hervor. Nein, die Klang-Formung wird breitbandig satter und auch in den Bässen dicker, mächtiger, mit großer Dynamik, ohne Schwächen in den Konturen zu bekommen, tiefe Noten werden präzise artikuliert.

Im Grunde bewegt man sich schon mit der ersten Boost-Stufe im High-Gain-Bereich. Der extreme Plus-Boost treibt die Distortion endgültig auf die Spitze. Doch die beiden Schalter und der Gain Regler sind nicht alleine, wenn es um die Abstimmung der Distortion geht. Mit seiner Position weit vorne im Signalweg mischt der Bright-Drehschalter mit. Offenbar befindet er sich vor den Röhrenstufen, die die Verzerrungen erzeugen. Jedenfalls bewirkt er Wesentliches. Von 0/dunkel bis 5/hell-höhenbetont bestimmt er, wie anschlagssensibel der Sound ist und ob die Verzerrungen in den Höhen einen Intensitätsüberhang haben.

In Position „5“ werden erst einmal die Höhen haarig, während in den unteren Frequenzbereichen noch kaum Verzerrungen wahrnehmbar sind. In Position „0“ dagegen ist das Klangbild gedeckt, wenig Brillanz, im direkten Vergleich cleaner, Kraft und Volumen dominieren. In der Praxis stellt sich schnell heraus, dass die sechs Bright-Stufen eine Brücke schlagen von Retro-Klangfarben (0) bis hin zur Moderne (5). Noch plakativer: Wenn ein herb-rauer JTM45-Crunch gefragt ist, ist Bright-0 ein guter Ausgangspunkt, für einen High-Gain-Brownsound sind die Positionen 3, 4 und 5, je nachdem wie sensibel man sich Obertonspektrum wünscht, die richtige Wahl.

Crunch ist ein Stichwort. In seiner ursprünglichen Form, eben zu Zeiten der Plexi und davor, war dieses Verzerrungsniveau nichts, das allein aus der Vorstufe kam. Es brauchte dafür die Sättigung der Phasentreiber-Sektion bzw. der Endstufe. Genau, wir steuern auf die Funktion des Afterburners zu. Es ist frappierend, wie markant er dieses Sound-Element reproduziert.

Verdichtung und Sag, das Einsacken der Dynamik, feinfühlig regelbar: der Afterburner ist definitiv ein Highlight des ValveSonic Plexi. Ohne den ist der in der Rückmeldung betont ehrliche und für den Spieler entsprechend anspruchsvolle Preamp eher resolut in der Ansprache. Wenn der „Nachbrenner“ zündet, wird er deutlich nachgiebiger. Und um auf die Sache mit dem Crunch zurückzukommen: Es macht Sinn, ist sogar zu empfehlen, das Fundament für moderate Distortion mit dem Afterburner zu legen, speziell wenn Retro-Sound-Farben gefordert sind.

Spätestens jetzt drängt für manchen die bisher unbeantwortet im Raum schwebende Kernfrage in den Vordergrund: Klingt das nun alles plexi? Die Antwort ist ein klares „Jein“. Weil bei einem so breit gefächerten Tonspektrum, wie es der ValveSonic bereit hält, die Fähigkeiten weit über das hinausgehen, daher das Nein. Aber das Ja, weil der typische Charakter in den entsprechenden Gain Bereichen treffend reproduziert wird, auch der durchsichtig offensive Höhenglanz des 1987 (50-Watt-Plexi).

Eine entscheidende Rolle für die Variabilität spielt zu guter Letzt auch die Integration von zwei Klangregelungen. Während die eine durchaus effizient, allerdings vergleichsweise dezent arbeitet, packt die andere intensiver, an anderen Eckpunkten zu und bietet zum Beispiel im Bassbereich mehr Reserven und Bandbreite.

Von grundlegender Bedeutung für den Sound und die Ansprache ist aber, welche Endstufe bzw. welchen Amp der Valve-Sonic Plexi füttert (Line-In bzw. Effekt-Return). Endstufen/Verstärker sind nun einmal technisch nicht genormt, sprich nicht jede Kombination lässt den Preamp optimal aufblühen, wie hier auch z. B. Class D-Amps nicht unbedingt die erste Wahl für optimalen Hörgenuss sind. Ausprobieren, und bei Nichtgefallen am eigenen Amp Alternativen zu Rate ziehen. Im Stand Alone-Betrieb z. B. für D.I.-Recording ist der ValveSonic Plexi technisch unkritisch. Und funktional, tonal absolut souverän. Eine vernünftige Speaker-Simulation hinten dran, muss nix Luxuriöses sein, und schon bekommt man kultivierteste Töne auf die Ohren.

Resümee

Zum ValveSonic Plexi gibt es auf dem Markt derzeit keine Alternative. Seine Variabilität und der charakterstarke, höchst kultivierte Ton setzen Zeichen. Zudem ist der Preamp, trotz der vielen Funktionen, unkompliziert in der Handhabung. Somit kann das Fazit nur rundum positiv ausfallen: Sehr empfehlenswert, Preis und Leistung stehen in einem gesunden Verhältnis.

PLUS

  • Sound, betont harmonisches u. sensibles Zerrverhalten
  • klanglich sehr variabel
  • Dynamik, Ansprache, Durchsetzungsvermögen
  • extrem hohe Gain-Reserven
  • luxuriöse, effiziente Ausstattung
  • geringe Nebengeräusche
  • Verarbeitung/Qualität d. Bauteile

 


Hinweise zu den Soundfiles:

Für die Aufnahmen kam ein Kondensatormikrofon mit Großflächen-membran zum Einsatz, das C414 von AKG, nahe platziert vor einem Celestion Vintage30 in einer konventionellen 4×12-Box. Die Endstufe eines Diezel VH2-Heads lieferte die Leistung (FX-Return).

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.

Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und eine Steinberger GL4T (EMG-aktiv, aber m. passivem Humbucker v. Seymour Duncan am Steg).

Der Preamp kann sehr fette Bassanteile liefern. Die Soundfiles tragen dem Rechnung (dünner geht „ümmer“ ;-). Ein genereller Hinweis: Wie höhenreich andererseits die einzelnen Aufnahmen klingen, sollte nicht als bestimmendes Merkmal im Sound (miss-) verstanden werden – lässt sich in der Regel mit einem kleinen Dreh an der Klangregelung variieren/ändern.

Clip 9 präsentiert mein „Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich einspiele, damit man den Charakter (die Verzerrungen selbst sind hier gemeint, nicht die Frequenzkurve) der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann. Hier zwei Versionen hintereinander, einmal mit High-Gain-Einstellung, danach alles was an Gain geht.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…, wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! 😉

Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie immer stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

Text + Musik: Ebo Wagner (GEMA)

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2019)

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