Wolf im Schafspelz

Interview: Anna Calvi

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(Bild: Thesupermat)

Sie wirkt, als könne sie kein Wässerchen trüben: Anna Calvi ist eine kleine, zierliche, schüchterne Schönheit. Doch in ihrer Musik zeigt die Britin scharfe Krallen und spitze Zähne. So auch auf ihrem dritten Album ‚Hunter‘, dem ersten seit fünf Jahren, auf dem sie von Mitgliedern von Portishead und den Bad Seeds begleitet wird bzw. mit starken Gitarren-Soli, einem betörenden Gesang sowie geballter Gesellschaftskritik glänzt.

Da wettert die 38-Jährige ganz unverhohlen gegen patriarchische Strukturen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik – mit feinsinnigem, subtilem Humor und bissigem Zynismus:

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„Würden wir endlich aufhören, in Kategorien wie männlich und weiblich zu denken, und jeder könnte machen, was er wollte, dann wären wir wahrscheinlich auch nicht so fürchterlich verklemmt. Wenn man Jungen nicht permanent eintrichtern würde, dass sie wer weiß wie tough sein müssten, sondern auch mal ihre softe Seite ausleben dürfen, wären sie bestimmt viel lockerer und ausgeglichener. Dann gäbe es keine Donald Trumps mehr und es würde mehr Harmonie und Verstand herrschen.“

Sie selbst, die sich im Gitarre-&-Bass-Interview als extrem introvertiert erweist, steht denn auch zu ihrer Bisexualität, lebt mit ihrer französischen Freundin in Strasbourg, dreht freizügige Videos und träumt davon, sich zumindest einmal in einem männlichen Körper austoben zu können.

„Ich hätte den Spaß meines Lebens“, lacht sie. Das glaubt man ihr aufs Wort…

(Bild: Rama)

Interview

Anna, seit ‚One Breath‘ sind geschlagene fünf Jahre vergangen. Wo hast du die ganze Zeit gesteckt?

Es hat tatsächlich lange gedauert, dieses Album an den Start zu bringen. Aber in der Zeit ist auch viel passiert: Ich habe mich von jemandem getrennt, mit dem ich acht Jahre zusammen war. Ich bin nach Frankreich gezogen und habe mir ein neues Leben aufgebaut. Außerdem braucht man manchmal eine Auszeit, um Dinge mit frischem Geist und neuer Attitüde anzugehen.

Bei mir hat das den Wunsch ausgelöst, mehr Risiken einzugehen. Ich dachte: „Wovor soll ich nach all den Veränderungen noch Angst haben?“ Das hat sich natürlich auch in den Songs niedergeschlagen.

Die sich als regelrechtes Manifest erweisen – als Rundumschlag gegen Homophobie, überholte Geschlechterrollen und offenen Sexismus. Bist du hier auf einer Mission oder einem regelrechten Kreuzzug?

Viele Leute wollen an diesem Patriarchat und dieser Heteronormativität festhalten. Einige, weil sie davon profitieren. Andere, weil sie Angst vor Veränderungen haben. Die Lösung wäre, ein System zu finden, in dem niemand von der Unterdrückung des anderen profitiert.

Was nicht bedeutet, dass wir mehr Frauen zu Politikern oder CEOs machen müssen, die denselben schlechten Job erledigen wie Männer. Ich spreche von einem utopischen Ideal. Darüber müssen wir reden, weil sich sonst nie etwas ändern wird.

Musikalisch: Wie bist du das neue Album angegangen?

Ich wollte, dass sich die Stimme und die Gitarre richtig wild anfühlen – und die Musik zum Inhalt passt. Also zu Geschichten über meinen Körper und seine Reaktion auf bestimmte Dinge. Zu der Idee, Lust und Verlangen auszudrücken.

Wobei die Gitarre beim Stück ‚Swimming Pool‘ wie eine Harfe klingt – wie kommt´s?

Da wollte ich den Sound von Wasser simulieren – und zwar mit meiner Gitarre. Ich muss dazu sagen, dass ich auf impressionistische Komponisten wie Debussy stehe.

Wenn man seine Musik hört, kann man die Dinge, die er darin beschreibt, regelrecht sehen. Also ein Stück wie ‚La Mer‘ klingt nicht nur nach einem Meer, es fühlt sich auch so an – es beschwört ein ganz starkes Bild. Und ich fand es spannend, einen Gitarren-Part zu haben, der an ein Licht im Wasser erinnert, der also diese Assoziationen beschwört.

In der Manier von Ennio Morricone?

Oh, ich liebe Ennio! Nicht, dass ich auch nur ein halb so guter Komponist wäre, aber ich versuche beim Arrangieren einem ähnlichen Ansatz zu folgen wie er – nämlich möglichst spontan zu sein. OK, die Keyboard-Parts hatte ich schon ausgearbeitet, bevor es ins Studio ging.

Und es sind auch noch ein paar Sachen hinzugekommen, die erst durch das Zusammenspiel der beteiligten Musiker entstanden sind – beim gemeinsamen Herumprobieren. Von daher ist es ein Mittelweg zwischen sorgfältiger Planung und ungezwungener Spontanität.

(Bild: Rama)

Und die Gitarrenparts?

Die habe ich ganz am Schluss hinzugefügt – als alles andere fertig war.

Wobei du mal chaotisch und wild, mal brachial und mal überaus verspielt rüberkommst. Was darauf schließen lässt, dass du viel experimentiert hast und scheinbar über ein riesiges Arsenal an Effektgeräten verfügst. Wie exzessiv bist du da?

Zunächst einmal ist es ein riesiger Spaß.

Du baust da alles auf, was du hast, du bist die ganze Zeit verkabelt und hältst alles fest – damit auch nichts verloren geht. Wenn dann der Moment kommt, in dem sich etwas ergibt, wird es auch festgehalten.

Nach dem Motto: „Dieses Solo oder dieser Part würde hervorragend zu dem oder dem Stück passen.“ Und sobald das der Fall ist, höre ich mir das entsprechende Stück an, dann den Part, der mir gerade eingefallen ist, und anschließend baue ich ihn da ein oder interpretiere ihn noch einmal anders.

Also sind deine Soli, ganz plump gesagt, Reaktionen auf die jeweiligen Songs – auf die Gefühle, die sie in dir auslösen?

Ja, ich verfahre nach dem Motto: Schließ die Augen und leg los. Hab keine Angst, versuch es einfach – ganz egal, was dabei herauskommt. Und wenn es nicht passt:

Probiere es halt noch einmal. Dabei versuche ich die Note zu hören, bevor ich sie spiele. Was auch bedeutet, dass ich in mich hineinhorche und mich frage: Wie kann ich darauf reagieren? Was würde da Sinn machen – und dann probiere ich es aus.

Ich schieße da also nicht komplett ins Dunkle und mache einfach irgendetwas, sondern ich folge meiner Intuition. Das ist die Art von Musiker, die ich bin: Ich klinge am besten, wenn ich Risiken eingehe, wenn ich emotional bin und nicht zu viel denke. Wenn ich einfach nur mache.

Und so bin ich auch das Album angegangen:

Ich wollte etwas Intuitives, etwas Emotionales, etwas mit einer unbändigen Energie. Es ist kein verkopftes Album, sondern sehr direkt…

Und da hast du nie Dopplungen? Du erwischt dich nie dabei, dass du dich wiederholst, dass du bei deinen Soli in ein bestimmtes Schema verfällst?

Bis jetzt noch nicht. Was wohl einfach daran liegt, dass jeder Song nach etwas anderem verlangt. Und dass es mir halt in erster Linie darum geht, die darin enthaltene Geschichte zu untermauern.

Wie stehst du zu den Hendrix-Vergleichen, mit denen du geradezu bombardiert wirst? Empfindest du sie als Kompliment oder nerven sie einfach nur?

(lacht) Mit Hendrix verglichen zu werden, nervt nie! Im Ernst: Mehr davon! Ich liebe es! Was für ein Kompliment.

Welche Beziehung hast du zu ihm – wie sehr hat er dich und dein Spiel beeinflusst?

Ich denke, dass ich einen ähnlichen Ansatz verfolge, wie er. Nämlich sich da vollkommen und komplett gehen zu lassen, alles aus sich herauszuholen und nichts zurückzuhalten. Klar, bin ich mit Hendrix aufgewachsen. Meine Eltern hatten seine Platten und ich habe sie wieder und wieder gehört.

Ich liebe die Musikalität seines Spiels – und seine Ausdruckskraft. Eben wie emotional er dabei war. Wie viel Gefühl er da hineingelegt hat. Nur: Ich denke nicht, dass jemand auch nur ansatzweise wie er klingen kann. Deshalb habe ich nichts gegen das Kompliment, aber ich weiß auch, dass es ein bisschen übertrieben bzw. hochgegriffen ist und ich das insofern nicht zu ernst nehmen sollte.

Wobei du – genau wie er – einen sehr individuellen Ansatz verfolgst: Du schlägst die Saiten z. B. im Rahmen einer kreisförmigen Bewegung an. Was steckt dahinter?

Es hat ein bisschen was davon, eine Suppe umzurühren. Und es sorgt einfach für interessante Texturen auf der Gitarre – und für interessante Rhythmen.

Wie bist du darauf gekommen?

Es muss etwa zehn oder 15 Jahre her sein, als jemand zu mir meinte: „Die Art, wie du die Saiten anschlägst, hat etwas davon, als würdest du eine Umrührbewegung machen.“

Da hatte ich gerade damit angefangen – also nicht bewusst und ohne dass ich das erklären könnte. Aber als ich das hörte, dachte ich: „Das ist wirklich eine gute Idee.“ Also habe ich das öfter und bewusster gemacht. Und daraus hat sich dann so etwas wie ein eigener Stil entwickelt.

(Bild: Rama)

Was für Gitarren, Verstärker und Effekte verwendest du auf „Hunter“?

Im Grunde benutze ich immer dieselbe Gitarre – die, die ich schon seit meinem 14. Lebensjahr habe. Eine Fender USA Telecaster. Und ich habe einen Hotcake-Verzerrer, ein Roomate Reverb-Pedal und einen Vox AC30. Das ist alles. Mehr brauche ich nicht.

Na ja, für das Album habe ich noch ein paar andere Pedale verwendet, das gebe ich offen zu. Und die kommen auch auf der Tour zum Einsatz. Denn es ist schließlich ein Riesenspaß, etwas Neues zu probieren und mit allzu vertrauten Gewohnheiten zu brechen.

Ich meine, ich habe über Jahre hinweg dasselbe Equipment benutzt – ohne jegliche Veränderungen. Aber diesmal waren da noch ein Chorus-Pedal und ein Delay im Spiel. Was nett war – es war die Gelegenheit, einfach mal ein paar neue Farben einzusetzen und damit herumzuspielen.

(Bild: Paul Hudson)

Das ist aber nicht die einzige Neuerung auf deiner kommenden Tour. Du hast jetzt auch noch einen Laufsteg dabei, der weit ins Publikum hineinreicht. Wie kommt´s?

Ich schätze, ich bin wohl einfach mutiger geworden. Sonst herrscht ja immer diese Trennung zwischen dem Künstler auf der Bühne und den Leuten im Publikum.

Doch wenn du auf diesen Steg hinausgehst und plötzlich all diese Menschen um dich herum sind, bist du ihnen viel näher. Und sie erleben den Augenblick, in dem du alles rauslässt, noch intensiver. Das ist wirklich intim. Also sehr aufbauend, aber auch einschüchternd. Für alle Beteiligten.

Darf man fragen, wie du als Gitarrenlehrerin warst? Angeblich war das der Job, mit dem du dein Studium finanziert hast. Stimmt das?

Schon, aber ich war fürchterlich! Ich meine: Ich habe mir alles selbst beigebracht und hatte im Grunde keine Ahnung, wie man anderen etwas beibringt, also wie man das richtig vermittelt. Und ich denke, dass ich nicht besonders gut darin war.

Aber ich hatte ein paar nette Schüler, die wirklich talentiert waren und auch immer noch spielen. Von daher kann ich keinen kompletten Bockmist verzapft und ihr Interesse an dem Instrument für immer ruiniert haben.

Wie versiert bist du als Gitarristen und wie viel tust du dafür? Folgst du einer täglichen Routine?

Ich muss gestehen, dass ich das eigentlich nie tue. (lacht) Ich spiele zwar Gitarre, aber ich investiere keine Zeit in tägliche Übungen oder sonstiges in der Art.

Warum?

Ich denke, ich bin an einem Punkt, da ich schon so lange spiele, dass die Technik einfach vorhanden ist. Im Sinne von: Ich habe und kann alles, was ich brauche. Und wenn ich auf Tour bin, stelle ich jedes Mal fest, dass ich mit der Zeit immer besser werde. Das fühlt sich zwar gut an, aber es motiviert mich trotzdem nicht dazu, mehr zu üben. Das ist halt einfach nicht mein Ding, sorry… (lacht)

Damit stellst du deine Reputation in Frage – gerade in Fachkreisen…

Ich weiß! Und deswegen sage ich auch, dass ich einen schlechten Einfluss auf jüngere Gitarristen habe – eben, weil ich ihnen nahelege: „Übt nicht so viel.“ Aber damit will ich nicht ihren Enthusiasmus und ihre Lernbereitschaft bremsen, sondern im Gegenteil:

Ich will, dass sie ihre wahren Emotionen und Gefühle ausleben, wenn sie zur Gitarre greifen. Dass sie da ganz intuitiv und spontan sind und einfach rauslassen, was in ihnen steckt, statt zu sehr auf Technik und handwerkliches Können zu achten.

Nicht, dass es falsch wäre, ein guter Techniker zu sein und sein Instrument zu beherrschen, aber es sollte nicht alles andere überlagern. Im Sinne von: Es sollte dich nicht blockieren und deinen Kopf so sehr in Beschlag nehmen, dass er nur mit der Umsetzung beschäftigt ist, aber nicht mit dem, was viel wichtiger wäre – nämlich dem, was es umzusetzen gilt. Du musst mit dem Herzen spielen und nicht so sehr mit dem Verstand. Das ist das Wichtigste.

Diskografie

  • Anna Calvi (Domino, 1/2011)
  • One Breath (Domino, 10/2013)
  • Hunter (Domino, 8/2018)

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2018)

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