Extended-Range-Gitarren erfreuen sich steigender Beliebtheit, wenn auch primär an der Metal-Front. Eine spezielle Gattung davon sind mit Fanned Frets, also fächerartig angeordneten Bünden, ausgestattet, um vor allem den Basssaiten eine längere Mensur zu verschaffen und ihnen damit klarere, definiertere und straffere Klänge zu entlocken.
Der deutsche Gitarrenbauer Alexander Claas hat sich mit seiner Firma Claas Guitars, die bislang als reiner Custom Shop ausschließlich für Endkunden fertigte, u. a. auf dieses Thema spezialisiert.
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Erstmals präsentiert er mit der Production Line (PL) Gitarrenmodelle, die alle Qualitätsmerkmale seiner Custom-Shop-Gitarren aufweisen, jedoch dank Serienfertigung und Verzicht auf Extras bezahlbar bleiben sollen.
Wie die CS-Modelle wird auch die Production Line vollständig im Hause Claas in der Nähe von Hannover gebaut.
Wahlweise
Claas Guitars bietet die Moby Dick auch als 7- und 8-String (ca. € 2350 bzw. € 2450) und jeweils ohne Aufpreis auch mit Esche-, Mahagoni- oder Walnuss-Body an. Neben verrundeten Kanten besitzen alle eine abgeschrägte Armauflage und einen optimal positionierten Rippenspoiler.
Dass der 39 mm dicke, flache Body nicht per CNC-Fräse sondern per Bandsäge in Form gebracht wurde, lässt sich an den etwas holprig verlaufenden Zargen der Korpus-Taillen erfühlen.
Ein stramm eingepasstes, per Gewindeschrauben montiertes Edelstahlblech verschließt Oberkante bündig das großzügig geschnittene E-Fach, in dem ein Push-Push-Poti und die zargenseitig eingelassene Rohrklinkenbuchse hausen.
Eine sorgfältige Komplettauskleidung mit Kupferfolie garantiert effiziente Abschirmung. Auf die gleiche Weise hat Andreas Claas auch die Aufnahmefräsungen der Tonabnehmer abgeschirmt.
Als Gurtpins verwendet er Flush Mount Security Locks von Dunlop, die zwar komfortabel zu handhaben sind, allerdings keine Alternativbefestigung bieten, sollte der entsprechend ausgestattete Gurt nicht zur Verfügung stehen.
Wie alle Hälse von Claas-Guitars, werden auch die der PL-Reihe aus Quarter-Sawn-Ahorn mit diagonal verlaufenden Jahresringen gefertigt. Die spezielle Konstruktion des Moby-Dick-Halses erlaubt eine großflächige Verbindung, und mit 10 (!) Gewindeschrauben eine extrem stabile zugleich.
Das Ebenholzgriffbrett trägt 24 perfekt eingesetzte und bearbeitete Edelstahlbünde mit komfortabel verrundeten Enden. Lediglich beim Nullbund, der hier als Sattel fungiert, kann unter Umständen die E1-Saite unter die Bundkrone rutschen, sofern man sie bei ausladenden Fingervibratos oder Bendings zu weit nach unten zieht.
Als Positionsmarker dienen fluoreszierende Sidedots, die, vorherige Lichtaufnahme vorausgesetzt, im Dunkeln grünlich leuchten. Wie bei Headless-Gitarren üblich, befindet sich der Saitenhalter, in den die Saiten mittels Inbusschrauben einzeln festgeklemmt werden, am Halsende.
Mit zwei Schrauben montiert, bietet eine Bohrung unmittelbaren Zugang zum Zweiwege-Stahlstab.
Korpusseitig bilden sechs einzelne feinmechanische Einheiten aus Saitenreiter, Saitenhalter und Feinstimmer den Steg. Jede der sechs Bridges besitzt einen eingesetzten Reiter aus Edelstahl und drei Madenschrauben. Eine davon dient zur Höhenjustierung, eine arretiert den Reiter, eine die Bridge in der U-Schiene.
Die Saitenringe werden einfach in die Tuner eingehängt. Zwar sind die gerändelten zylindrischen Tuner-Knöpfe sehr griffig, lassen sich jedoch extrem schwer drehen, sodass ich mitunter geneigt bin, zur Zange zu greifen. Immerhin bietet die Deckenfräsung ausreichend Platz zum Zupacken.
Zwei begrenzt höhenjustierbare Lace Alumitone Humbucker wandeln die Saitenschwingungen, nämlich ein Aluma X-Bar 3.5 in der Halsposition und ein Aluma Deathbar 3.5 am Steg.
Ihre spezielle Positionierung kommt nicht von ungefähr, schließlich würden sie bei einer traditionellen Mensur im Winkel von ca. 90° zu den G3-/D4-Saiten stehen. So wurde hier der Steg-HB nahezu parallel zum Steg, der Hals-PU parallel zum 22. Bund ausgerichtet.
Verwaltet werden die Humbucker per Master-Volume mit integriertem Push-Push-Schalter, der sie lediglich einzeln aktiviert. Eine Kombi beider Abnehmer ist daher nicht möglich.
Die Position des gerändelten Reglerknopfes lässt erkennen, welcher der Humbucker aktiv ist: Ausgelöst Hals, gedrückt Steg.
In Betrieb
Die Claas Moby Dick PL6 besitzt die Maße und das Gewicht einer Reisegitarre. Sowohl am Gurt als auch auf dem Bein zeigt sie perfekte Balance und hohen Tragekomfort.
Ich möchte keineswegs ausschließen, dass es Gitarristen gibt, die auf Anhieb mit der Moby Dick zurecht kommen, ja sogar die gefächerten Bünde und die Halskonstruktion lieben.
Als Gitarrist, der eine traditionelle Bauform vorzieht und dabei gerne den Daumen auf die obere Griffbrettkante legt, habe ich jedoch aus ergonomischer Sicht meine Schwierigkeiten, weshalb das Griffbrett der PL6 ab dem 15. Bund für mich quasi als Restricted Area gilt.
Auch für den Geübten dürfte es ungemein schwierig sein, in den hohen Lagen die Basssaiten mit der Greifhand zu bespielen, es sei denn, er hängt sich die Gitarre knapp unters Kinn.
Da bei vollen Barré-Akkorden – mit Grundtönen auf der E6- oder A5-Saite – in den unteren Lagen die Spitze des Zeigefingers ohnehin bei den meisten eher in Richtung Steg wandert, ist sauberes Greifen so gut wie unmöglich, mindestens jedoch ziemlich anstrengend.
Powerchords, tieffrequente Riffs, Melodiespiel, Solieren, Tappings usw. bereiten indes überhaupt keine Probleme. Eine weitere Herausforderung sind jedoch Finger-Bendings in höheren Lagen, da diese wegen der fehlenden Unterstützung durch den Daumen höheren Kraftaufwand erfordern.
Kein Wunder also, dass die Vorführer in den zahlreichen Netzvideos diesen Bereich unbewusst (oder bewusst?) meiden. Aber wie gesagt, dies alles ist mein persönlicher Eindruck. Sicherlich haben andere Claas-User positivere Erfahrungen mit der Handhabung gemacht. Immerhin gestattet das Griffbrett barrierefreies Spiel bis zum 24. Bund.
(Bild: Dieter Stork)
Bis zum 9. Bund liegt der Hals sehr angenehm und entspannend in der Hand, die glatte aber dennoch holzig griffige Oberfläche besitzt die gleiche wohlige Haptik wie der Body. Das einsame Master-Volume-Poti arbeitet leichtgängig und präzise.
Schwingtechnisch zeigt sich die Moby Dick PL6 indes von ihrer Schokoladenseite, resoniert sie doch nach jedem Saitenanschlag höchst intensiv und deutlich spürbar bis in die hintersten Ecken ihrer Holzfasern.
Sie spricht extrem direkt und akzentuiert an, zeigt eine rekordverdächtig schnelle und spontane Tonentfaltung und ein konstantes, langsam und gleichförmig abklingendes Sustain. Ihr Klangbild ist ausgewogen, eher perkussiv und drahtig, in jedem Fall aber obertonreich, die Bässe tönen dank der verlängerten Mensur prägnanter, straffer und definierter.
Die speziell für Fanned Frets entwickelten Lace Alumitone Humbucker liefern reichlich Pegel und präsentieren sich am cleanen Amp klar und ausgewogen mit fetten aber stets kompakten definierten Bässen, prägnanten Mitten, klaren seidigen Höhen und breitem Obertonspektrum.
Während sich der Aluma Deathbar am Steg bei aller Transparenz kraftvoll, forsch und offensiv im Band-Gefüge behauptet, weckt der X-Bar Assoziationen zu einer traditionellen Kombi aus Steg und Hals-Humbucker.
Wunderbar glockig, luftig und lebendig perlt er aus den Lautsprechern. Somit macht es durchaus Sinn, dass Andreas Claas hier lediglich einen Zweiwegschalter zur Pickup-Wahl verwendet.
Lässt man den Verstärker mit High Gain zerren, laufen die Lace-Pickups zur Hochform auf. Fett drückende aber stets straff definierte Bässe, warm singende Mitten und Höhen, denen steigende Anschlagsintensität zunehmend Biss und Durchschlagskraft verleiht.
Breit aufgestellte Akkorde enden nicht im Sound-Brei, sondern lösen transparent und definiert auf. Überhaupt zeigen die (passiven) Pickups reichlich Headroom und unterstützen mit exzellenter Dynamik jede Form von Tonbildung.
Neben seinen Clean-Qualitäten bei Arpeggios, Sweeps, Melodie- oder Rhythmusspiel findet auch der Hals-Pickup seinen Platz im High-Gain-Areal, wo er mit samtig singenden Leadsounds oder angecrunchten Chords überzeugt und dank seiner Vielseitigkeit ein breites Genrespektrum von Jazz bis Metal bedient.
Resümee
Im derzeitigen Boom von Extended-Range-Gitarren hebt sich die niedersächsische Firma Claas Guitars von der Masse der Anbieter mit eigenständigen, innovativen Designs und interessanten Detaillösungen ab.
Schließlich erhielt sie bereits 2016 für die „kopflose elektrische Gitarre Moby Dick“ den Bayrischen Staatspreis für besondere technische Leistungen im Handwerk.
Das optisch, vor allem aber preislich, abgespeckte Production-Line-Modell PL6 kann hinsichtlich Klang, Dynamik und Sustain absolut überzeugen.
Während sich trotz kompakter Dimensionen und geringen Gewichts zumindest für mich die Spielbarkeit der oberen Griffbrettregionen als echte Herausforderung entpuppt, haben offenbar andere damit weniger Probleme.
Mit der Verarbeitung kann man im Großen und Ganzen zufrieden sein, obgleich die buckelig gesägten Taillenzargen, die bisweilen unter dem Nullbund einklemmende E1-Saite, die extrem schwergängige Headless-Tuner und die bei ausladenden Finger-Bendings aus ihren Reiterkerben rutschenden Saiten ein Geschmäckle hinterlassen.
PLUS
Sounds
Dynamik & Sustain
kompaktes Design
geringes Gewicht
MINUS
sehr schwergängige Tuner
E1-, D4- und E6-Saiten rutschen bei extremen Bendings aus den Reiterkerben