Wie funktioniert Jazz? Kann man Jazz Musik spielen lernen? Wir gehen der Frage anhand von drei bedeutenden Klassikern in der Geschichte des Jazz auf den Grund:
Was passierte um 1943/44 in dem Haus, in dem der 19-jährige Wes Montgomery, Schweißer von Beruf und jung verheiratet, begann, ohne jede Vorkenntnis, nur inspiriert von den Schallplatten des E-Gitarren-Pioniers Charlie Christian, autodidaktisch das Gitarrenspielen zu lernen?
Jeder Jazz-Gitarren-Fan kennt die Geschichte, dass er seiner Frau und der Nachbarschaft auf die Nerven ging mit seiner verstärkten Gibson ES-125D (einer günstigen Archtop mit zwei Pickups), die er zusammen mit einem Amp im Paket erworben hatte. Dass er dann das Plektrum weglegte und mit dem Daumen spielte, was einen weicheren Ton erzeugte und seine Gemahlin milde stimmte.
Dass er innerhalb eines Jahres nur nach Gehör alle auf Platte verfügbaren Charlie-Christian-Soli lernte. Nur mit der Erklärung, dass er halt ein Genie war, kommen wir nicht weiter. In jedem Fall war seine wohl einzige Informationsquelle die Schallplatte selbst. Diese war wohl eine Schellack-Platte, die mit 78 Umdrehungen/min auf dem Teller rotierte.
Ob Wes eine Möglichkeit gefunden hatte, die Platte zum Heraushören von Charlie Christians wieselflinken Linien langsamer abzuspielen, wissen wir nicht. Die Schelllack-Grammophone boten keine verschiedenen Abspiel-Geschwindigkeiten an, es war aber prinzipiell möglich, das Tempo mit einer Fliehkraftbremse oder auch durch mechanische Reibebremsen zu verlangsamen.
Jedenfalls hat Wes später die Technik, LPs auf halber Geschwindigkeit abzuspielen, für sich genutzt, wie er in einem Interview erzählte: „Ich nahm mir sein (John Coltranes) Album ‚Giant Steps‘, spielte es bei 16 Umdrehungen pro Minute ab, um ihn zu studieren, und jede Note, der er spielte, war korrekt.“
Vielleicht entstand ja seine berühmte Oktav-Technik beim Versuch, in halber Geschwindigkeit (und damit eine Oktave tiefer klingende) Single-Note-Lines beim synchronen Mitspielen durch das Hochoktavieren auch in originaler Tonhöhe hören zu können? In jedem Fall dürfte Wes von jeder Christian-Scheibe mehrere Exemplare durch endloses Anhören ruiniert haben. „Ich hab die Platten wirklich ganz genau angehört, und ich wusste, dass alles, was auf seiner Gitarre gespielt wurde, auch auf meiner gespielt werden konnte, weil meine auch sechs Saiten hatte, und so entschied ich mich, es anzugehen.“
Dabei muss er sich die Soli Ton für Ton und Phrase für Phrase herausgehört haben, lokalisierte dann die Töne auf dem Griffbrett und suchte nach für ihn ökonomischen Möglichkeiten, diese zu verbinden. Dabei musste er natürlich auch auf die Möglichkeiten seiner rechten Anschlagshand Rücksicht nehmen. Denn anders als beim Wechselschlag mit dem Plektrum, ist die Technik des Daumenanschlags zunächst einmal für Abschläge prädestiniert.
In der Tat hat Wes, wie auf Videos zu sehen ist, seine berühmten Oktav-Soli so gut wie ausschließlich in Abschlägen gespielt. Auch Single-Note-Lines konnte er in beeindruckenden Tempi nur mit Abschlägen spielen. Dabei dienten die Spitzen der vier restlichen Finger als Anker, der Zeigefinger ruhte auf dem Schlagbrett, wo der Mittelfinger auf der Korpusdecke aufsetzte, wurde mit der Zeit der Lack abgeschabt, und es entstand das charakteristische, herzförmige Loch im Lack seiner Archtops.
Die Technik der Daumenabschläge erzeugt einen sehr weichen Sound, und sie lässt sich auch gut imitieren. Ab einem bestimmten Tempo ist aber natürlich Schluss mit der Beschränkung auf Downstrokes.
Ein Video von John Coltranes Klassiker ‚Impressions‘, aufgenommen in Belgien 1965, zeigt, dass Wes bei Uptempo mit seinem Daumen auch fließendes Alternate-Picking (also Wechselschlag) spielen konnte, mit einem prägnanten Attack, dem später Pat Martino mit dem Plektrum nacheiferte.
Im YouTube-Video von Wes Montgomerys ,Yesterdays‘ (1965) hat man aufgrund der Kameraführung freien Blick auf beide Hände des Gitarristen – unbedingt ansehen:
In Zeiten, wo so gut wie alles kopiert wird, findet man z.B. auf youtube.com niemanden, der Wes Montgomerys Alternate-Thumb-Picking kopiert.
George Benson, selbst eine Gitarren-Institution, hat Wes in den Anfängen seiner Karriere kennengelernt, und er glaubt, den Grund zu kennen: „Wes hatte eine Hornschwiele an seinem Daumen, die seinem Sound den Druck gab. Er hatte einen Sound für die sanften Passagen, und dann eben den Druck, wenn er diese Schwiele einsetzte. Deshalb wird nie jemand an Wes rankommen. Und sein Daumen war extrem beweglich. Er konnte ihn soweit zurückbiegen, dass die Daumenspitze sein Handgelenk berührte, was er manchmal machte, um die Leute zu schockieren.“ (Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen!!!;-))
Es gibt unzählige Transkriptionen von Wes Montgomerys Musik, aber bis heute keine systematische Erforschung und Dokumentation seiner Spieltechnik. Diese zur Gänze imitieren zu wollen, ist wohl unmöglich, und sicher auch kein sinnvolles musikalisches Ziel. Profitieren von seiner umwerfenden Musikalität aber kann man auch heute noch, sei es beim Hören oder auch beim Studieren seines klingenden Vermächtnisses.
Die Thelonious-Monk-Ballade ‚Round Midnight‘ gehörte zu Wes Montgomerys Lieblingsstücken. Schon auf seinem ersten Solo-Album Wes Montgomery Trio‘ (1959) war das Stück der Opener.
Wes konnte keine Noten lesen; da er seine Stücke nach Gehör auswendig lernte und dabei die Akkord-Changes in Intervallabständen verinnerlichte, war er von Tonarten unabhängig und konnte mühelos transponieren.
Die 1965 entstandene Version von ‚Round Midnight‘, dieses Mal in Eb – Moll, gibt es nicht auf Tonträger. Sie ist auf youtube.com zu sehen und zu hören und wurde bislang weit über 4 Mio. mal angeklickt. Hier wird Wes begleitet von dem Pianisten Harold Mabern, dem Kontrabassisten Arthur Harper und dem Schlagzeuger Jimmy Lovelace:
Beispiel 2a zeigt die ersten 16 Takte des Gitarrensolos über eine mit 96 bpm im Doubletime-Part wesentlich langsamere Interpretation der Monk-Ballade. Bei der Tabulatur und den Fingersätzen der linken Hand wurden die auf dem Video sichtbaren Informationen soweit wie möglich eingearbeitet.
Klick auf die Noten, um sie zu vergrößern.
Auch hier liefert Beispiel 2b die dazugehörige Bass-Linie.
Miles Davis wurde am 25. Mai 1926 in Alton, Illinois geboren. Im Alter von 10 Jahren begann er mit dem Trompetenspiel. Mit 18 zog er nach New York, um an der Julliard School of Music zu studieren. Die Jazz-Szene interessierte Miles aber bald mehr als das Studium. Sein großes Vorbild wurde der Bebop-Pionier Charlie Parker, in dessen Band er Ende der 40er Jahre einstieg.
Mit dem neuen Album ,Birth Of The Cool‘ (Blue Note 1949) läutete er die Epoche des „Cool Jazz“ ein. In der ersten Hälfte der 50er wurde sein künstlerisches Potenzial von seiner Heroinsucht nahezu absorbiert. Davis’ Zusammenarbeit mit dem Arrangeur Gil Evans (,Porgy & Bess‘, ,Sketches Of Spain‘) sowie zahlreiche legendäre Einspielungen mit seinen zwei Quintetten prägten die Zeit bis zum Ende der 60er Jahre.
Miles 1969 in Frankreich:
Mit ,Bitches Brew‘ reagierte Miles im Jazz auf die allgemeine Elektrifizierung der Musik; er war z. B. beeindruckt von Jimi Hendrix’ revolutionären neuen Sounds. Dieses Album, auf dem auch Gitarrist John McLaughlin mitspielte, gilt als stilprägend für den Jazz-Rock. 1975 verkündete Miles – seine Gesundheit war durch seinen exzessiven Lebensstil fast ruiniert – seinen Rückzug aus dem Musik-Business.
,The Man With The Horn‘ (1981) markierte sein Comeback und eine erneute stilistische Wende. Rockige Gitarren, futuristische Keyboard-Sounds, superfunky Rhythmen, gewürzt mit Percussion prägten jetzt seine Bands. Diese waren, in wechselnden Besetzungen Stammgast beim legendären Jazz-Festival in Montreux.
Warner Music Switzerland beginnt jetzt damit, einen Schatz zu heben: Alle wichtigen Konzerte des Festivals wurden in durchweg hervorragender Qualität aufgezeichnet, und damals noch im legendären Radio-Sender DRS 3 live übertragen. Die CD ,Highlights From The Complete Miles Davis At Montreux‘ (Warner Jazz 2001) dokumentiert, wie gut die Miles-Davis-Bands in den 80ern spielten.
Am 08. Juli 1984 wurde ,Speak‘ aufgezeichnet. Die Miles-Komposition wurde auf ,Star People‘ (CBS 1983) zum ersten Mal auf Tonträger veröffentlicht. Bei unserer Montreux-Live-Version spielt kein geringerer als John Scofield Gitarre.
https://www.youtube.com/watch?v=iF7ZKPjIFjc
Am Bass hören wir Darryl Jones, der durch seinen Job bei Miles bekannt wurde, später in Stings Band spielte und seit ,Voodoo Lounge‘ (1994) die Saiten für die Rolling Stones zupft. ,Speak‘ ist eine modale Komposition mit zwei erkennbaren tonalen Zentren.
Die beiden chromatischen Themen des Stücks haben F als tonales Zentrum. Ein eindeutiger Mode lässt sich nicht ausmachen. Darryl Jones’ Bassline beginnt mit E, also der großen Septim zu F, als breiter Note auf Zählzeit 1.
Hier ist die Botschaft von Darryl Jones Basslinie (Bsp. 5) eindeutig. Mit Db (Grundton), F (Dur-Terz), Cb (Kleine Septim) und Bb (große Sext) ist Db-Mixolydisch mit allen charakterischen Tönen hörbar.
Packend an Scofields Solo ist neben der unvergleichlichen Phrasierung das raffinierte Inside/Outside-Spiel. Bis auf zwei Stellen ist sein Tonmaterial recht eindeutig analysierbar. In Takt 7 führt eine Abfolge von chromatisch fallenden kleinen Terzen (E-G Zählzeit 1, Eb-Gb Zählzeit 2, D-F, Zählzeit 4) über zum Db°7- Arpeggio (Db-E, Zählzeit 1, Takt 8). In Takt 20/21 hören wir, wie Constant Structure funktioniert. Die Figur besteht aus lauter maj7-Arpeggien, deren Grundtöne auf der Db-Ganztonleiter auf- und absteigen.
Die Abfolge der Grundtöne lautet:
F G F Eb Db
Ein für das Ohr sinnvoller Klangeindruck entsteht durch die Repetition des Arpeggios und durch die Symmetrie der Grundtonabstände. Generell ist beim Inside/Outside-Spiel wichtig, das Ohr an die vermeintlich falschen Töne zu gewöhnen und diese mit Überzeugung zu spielen. Und, wer so gewaltige Spannung aufbaut, muss diese auch wieder abbauen.
John Scofield spielte in den 80er Jahren meist auf einer Ibanez-AS200-Semiakustik-Gitarre. Die Amps wechselten allerdings häufiger. Fender, Roland JC120 und Sundown waren seine Favoriten.
Darryl Jones spielte in der Miles-Zeit meistens seinen 1966er Fender Jazz Bass. Er war einer der prominentesten User von Hartke-Boxen, die auch der Sound der Montreux-Aufnahmen entscheidend prägen.
Am 17. Juli 1986 hieß der Gitarrist der Miles-Band übrigens Robben Ford – und das war in dieser Konstellation sicher nicht weniger interessant werden. Viel Spaß mit ,Speak‘!
,Confirmation‘ ist ein bekannter Jazz-Standard von Altsaxophonist Charlie Parker:
Die Besetzung für meine Bearbeitung der ersten sechzehn Takte des Themas ist ein Gitarrenduo, das seine Vorlieben zwar im Jazz sucht, aber gerne auch immer wieder klassische Stimmführungsmethoden mit einfließen lässt.
Diese Idee ist nicht neu und deswegen vielleicht gar nicht so exklusiv der Klassik zuzuordnen. Man denke nur an Kombinationen wie Metheny/Hall, Abercrombie/Scofield oder Raney/Raney, die es schaffen, die übliche Aufteilung zwischen Begleitung und Melodie aufzuheben und ihre Linien gleichberechtigt ineinander fließen zu lassen, ohne dass dabei das harmonische Grundgerüst verschwindet.
Charlie Parker & sein Mitbläser Dizzy Gillespie können auch Vorbild für ein Gitarrenduo sein:
Es soll in diesem Workshop also mehr darum gehen, wie man mit zwei Gitarren ein Jazz-Thema interpretieren kann, ohne dass die Begleitung aus Grundtönen und Akkorden besteht. Die erste Stimme spielt in meiner Bearbeitung das Thema unverändert, so dass sich die zweite Gitarre wahlweise darum herum oder unterstützend dazu bewegen kann.
Die beiden Fragen, die man sich als Spieler der Zweitstimme stellen sollte, sind: „Was spiele ich?“ und vor allem „Wann spiele ich?“. Es geht ja darum, trotz Singlenote-Spiels eine Begleitung zu ersetzen, was bedeutet, zum einen die Pausen in der Melodie zu füllen, damit der Groove nicht verloren geht, und zum anderen prägnante Passagen in der Melodie zu unterstützen, um diese noch hervorzuheben.
Zunächst zum Thema „Füllen der Pausen“: In Takt 3 meines Beispiels macht das Thema fast einen ganzen Takt Pause, die ich in der zweiten Stimme mit einem sequenzartigen Lauf, der aus Akkordtönen und deren Umspielungen besteht, gefüllt habe. Das ist eine Technik, die sowohl in der Klassik, als auch im Jazz Anwendung findet.
Ähnlich verhält es sich in den Takten 7 bis 8 und sehr offensichtlich in den Takten 11 bis 12. Hier habe ich eine Vierton-Sequenz zunächst als „Lückenfüller“ und in Takt 12 als Zweitstimme zur Unterstützung der Melodie verwendet. Letzteres geschieht auch an den besonders auffälligen Passagen der Melodie, wie zum Beispiel in Takt 10 und Takt 13.
Und da eine prägnante Melodieführung auch eine prägnante Zweitstimme vertragen kann, habe ich in Takt 13 dem Bb 7-Akkord mit dem e in der Unterstimme eine #11 hinzugefügt und in Takt 10, wo die Melodie sowieso nicht den Harmonien folgt, gesellt sich, bezogen auf den Em7b5, zu dem eb in der Oberstimme mit dem f# eine große None.
Bei allen tonalen Bewegungen darf jedoch eines nicht außer Acht gelassen werden: Da eine durchgängige Begleitung fehlt, die normalerweise das Groove-gebende Element darstellt, ist das Timing der beiden Stimmen sehr wichtig. Es muss genau so ineinander fließen, wie es die Linien selbst tun.
„Ich bin immer auf der Suche nach der Basslinie, die für den Song am besten ist. Und wenn ein Song ganze Noten braucht, dann spiele ich eben ganze Noten. Solche Tracks sind mir oft am liebsten, denn schließlich geht es nur darum, was der Song braucht. Der Versuch, sein spielerisches Können herauszuhängen, macht für mich nicht den geringsten Sinn. Jedes Mal, wenn ich gebeten wurde, ein Solo zu spielen, habe ich mich geweigert. Ich habe keinen Spaß an Bass-Soli. Ich habe Jaco gesehen, und er hat mich umgehauen, aber die Zeit, in der jemand ein Bass-Solo spielt, ist für meinen Geschmack besser genutzt, wenn die Band stattdessen einen neuen Song spielt.“
Sehr klare und bescheidene Worte, die Leland Bruce Sklar, geboren am 28. Mai 1947 da in einem Interview mit dem Journalisten Greg Rule von sich gibt. Und Sklar, der Mann mit dem markanten Vollbart, der als Toto-Bassist aktiv war, hat nach eigenen Aussagen 26000 Songs im Studio eingespielt und auf 2500 Alben mitgewirkt – eine durchaus rekordverdächtige Marke.
Auf Christian Tolles Frage, welche dieser riesigen Zahl von Studio-Sessions ihm in der Rückschau als besonders einzigartig erschien, antwortete er im Gitarre & Bass-Interview (06/2007, S. 77): „Ganz sicher ein Highlight für mich ist Billy Cobhams Album ‚Spectrum‘, das war eine wunderbare Produktion – Tommy Bolin (g) war damals dabei.“ ‚Stratus‘ ist der wohl berühmteste Track des 1973 erschienenen Jazz-Rock-Albums des amerikanischen Power-Drummers Cobham.
Aber zurück zu Lee Sklar und der Frage, welche Eigenschaft für einen Studio-Crack wohl am wichtigsten ist. Kurze Antwort: Er kann sofort alles spielen und groovt wie die Hölle. Nur so war es für ihn möglich, innerhalb von fünf (!!!) Tagen das komplette Konzert-Programm von Toto auswendig zu lernen und den erkrankten Bassisten Mike Porcaro mehr als zu ersetzen.
Versetzen wir uns in Lees Lage an jenen historischen Tagen im Mai 1973. ‚Taurian Matador‘ heißt ein gerade mal drei Minuten langes Stück, das mit einem viertaktigen, von Billy ausgeschriebenem Unisono beginnt. Allein schon diese mit 130 bpm recht schnelle Linie hat es in sich. Beispiel 1 zeigt diese und im folgenden Lees kompletten Bass-Part.
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Die Band probte, auch weil Tommy Bolin kein Notist war, einen Tag, und nagelte die Tracks an den folgenden Tagen aufs Band. In einem so engen Zeitrahmen bleibt einem Studio-Bassisten natürlich keine Zeit, um Parts noch zu üben. Er muss quasi aus dem Stand das Material so souverän beherrschen, dass er sich voll auf die Musik konzentrieren kann. Das eindrucksvolle klingende Ergebnis ist für die Nachwelt festgehalten – und ‚Spectrum‘ darf eigentlich auch bei Rock-Fans nicht im CD-Regal fehlen.
Beispiel 2 zeigt die bassistische Basis von ‚Stratus‘. Der Track erlebte 1991 ein eindrucksvolles Comeback, als Massive Attack auf der Basis von Stratus-Samples 1991 ihren Megahit ‚Safe From Harm‘ zusammenbauten. Neben den einfach nur geilen Licks aus Jan Hammers Moog-Solo erregte natürlich der hypnotische Groove von Lee und Billy den Jagdinstinkt der SampleFreaks von Massive Attack.
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Und hier kommen wir zu einer weiteren Eigenschaft eines Studio-Bassisten auf höchstem Niveau: Er kann sich auf die unterschiedlichsten Drummer einstellen und spielt so, dass die diese so gut wie möglich klingen. Tatsächlich hat das meiner Meinung nach keiner besser gemacht als Lee Sklar.
Er hat entscheidenden Anteil daran, dass ‚Spectrum‘ bis heute Billy Cobhams bestes Album geblieben ist. ‚Stratus‘ besteht nur aus vier verschiedenen Teilen: Intro, Thema, Break und Vamp. Alle sind in der Transkription notiert.
Erinnern wir uns an Lees Worte am Anfang dieses Beitrags. ‚Stratus‘ braucht keine ganzen Noten, sondern stoisch gespielte durchgehende Sechzehntel. Da sagt man schnell, kein Problem bei 84 bpm. Tatsächlich spielt Lee nach dem Thema diesen einen Takt mit spärlich eingestreuten Variationen 88 Mal (von 04:19 bis 08:35 min.!!!).
Wer eine Vorstellung davon bekommen will, wie schwer das ist, sucht sich eine passende Drum-Loop und spielt diese Linie im ewigen Umlauf, ohne dabei zu vergessen, sich aufzunehmen. Schnell dürfte dabei klar werden, wie unspektakulär großartig Lee Sklars Spiel ist. Ein Bassist ohne die heute weit verbreitete Egozentrik, ein Team-Player par excellance, und ein gigantischer Musiker.
Autor: Wolfgang Kehle
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