Carl Carlton: Marius Müller-Westernhagen Unplugged
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Matthias Mineur)
Obwohl im Frühjahr 2016 die aufsehenerregende Nachricht die Runde machte, dass Marius Müller-Westernhagen für sein MTV-Unplugged-Projekt den britischen Rockgitarristen Micky Moody (Ex-Whitesnake, Juicy Lucy) verpflichtet habe, stand bei den Fernsehaufnahmen in Berlin und während der anschließenden Deutschlandtournee stattdessen Carl Carlton auf der Bühne.
Grund genug, sich im Herbst 2018 mit Carlton bei einem Westernhagen-Konzert in der Bremer ÖVB-Arena zu treffen und die Hintergründe dieses spektakulären Wechsels zu erörtern. Bei dieser Gelegenheit hat der deutsche Ausnahmegitarrist natürlich auch gleich sein aktuelles Equipment vorgestellt.
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interview
Carl, eigentlich war Micky Moody, der frühere Whitesnake-Gitarrist, für diesen Gig engagiert. Jetzt aber spielst stattdessen du bei Westernhagen. Was ist passiert?
Ich kann dazu nicht viel sagen. Aber für diese Art R’n’B war Micky Moody anscheinend nicht der richtige Mann. Also fragte Marius mich, ob ich Interesse hätte. Obwohl ich kaum Zeit hatte, mich auf diesen Job vorzubereiten – es waren immerhin 30 Songs, die ich quasi über Nacht lernen musste – klappte es von Anfang an sehr gut. Zum Glück hatten Marius und die Band viel Geduld mit mir. Man spürte schon am ersten Tag, dass es eine gute Partnerschaft werden würde. Diese Band, dieser Stil, es passte zusammen, sodass ich mich hier richtig ausleben kann.
Wie muss man sich das Prozedere konkret vorstellen?
Die Westernhagen-Band probte bereits seit zehn Tagen, als Marius mich anrief und um Hilfe bat. Micky ist ja britischer Marshall-Rocker, das wäre so, als wenn man Gary Moore mit Ry Cooder zusammenbringen würde. Da wäre der alte Mick Taylor sicherlich passender gewesen. Ich bekam also von Marius die Liste der Songs …
… und hast quasi über Nacht 30 Stücke gelernt?
Nee, eigentlich nicht so ganz, denn ich bin ein Chaot, der nicht gerne nachspielt, sondern sein eigenes Ding machen will. Ich freu mich dann immer, wenn ich Chefs wie Robert Palmer, Levon Helm oder eben Marius habe, die es gut finden, dass ich meine eigene Note einbringe. Ich halte es wie Frank Zappa, ich habe in meinem Leben noch nie ein Solo exakt so gespielt, wie es vorgegeben war. Sobald die Show läuft, rattert bei mir die Kreativität und ich erfinde mein Spiel neu.
Hattest du Angst, dass es nicht funktionieren würde?
Nein, Angst nicht, dafür mächtig Lampenfieber, aber das ist ja auch Antrieb für Kreativität.
Du hattest Lampenfieber?
Und ob! Mir ging der Arsch auf Grundeis, denn wir standen ja sofort bei MTV Unplugged vor der Kamera, und das gesamte Material war mir noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Was aber auch ein absoluter Vorteil sein kann, wenn die Kreativität greift. Dann ruft man keine Routine ab, sondern arbeitet hochkonzentriert, macht aber vielleicht auch mal einen Fehler. Allerdings: Lieber mal einen Fehler machen und dafür drei neue Ideen entwickeln.
Hast du dein Pedalboard gezielt für Westernhagen zusammengestellt?
Ja, wobei ich dazu sagen muss, dass ich nicht einmal die Hälfte des Boards brauche. Ich bin ein eher vorsichtiger Mensch, der lieber auf Nummer Sicher geht und eine größere Klangpalette anbietet, als zu wenig Alternativen zu haben. Das Board sieht allerdings nach mehr aus, als es eigentlich ist, und wurde auf diesen Job gezielt zugeschnitten.
Was ich früher nie gemacht habe, ist jetzt bei mir fester Bestandteil: das Volume-Pedal, mit dem ich schnell die Dynamik verändern kann. Der Vorteil des Boards ist, dass ich elektrisch und akustisch zusammenschalten oder jeweils einzeln abrufen kann. Die elektrische Schaltreihe geht zunächst durch zwei Kompressoren zum Slide-Rig, das für Bonnie-Raitt-/Little-Feat-mäßige Slides sehr interessant ist. Das Ding macht viel Krach und Dreck. Man muss es also anschalten, schnell spielen, und dann schnell wieder ausschalten.
Toll ist auch der Xotic SL Drive – übrigens ein Tipp von Jimmy Page – den ich zusammen mit dem Ebow in ‚Heroes‘ einsetze. Beim Einsatz mit Akustik-Gitarren zieht der Xotic allerdings zu viel von den Piezos hoch. Dann gibt es natürlich meinen wunderbaren T-Rex Soulmate, ohne den ich nicht mehr leben könnte, den ich nicht programmiert habe, sondern beispielsweise den ab Werk eingestellten Spring Reverb benutze. Außerdem arbeite ich gerne mit Delays, lang und kurz, wie etwa in ‚Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz‘, also Rockabilly-mäßig.
Und last but not least, nicht zu vergessen: der Soulmate Acoustic in Verbindung mit dem API-Tranzformer, den es früher nur im Studio, seit einiger Zeit aber auch als Fußtreter gibt, sowie das wunderbare Space-Echo von Roland.
Lass uns über die Gitarren sprechen. Welche Tunings verwendest du?
Diverse. Brad spielt überwiegend im Standard-Tuning, und wenn ich das dann auch machen würde, hätte man zu viele Dopplungen, und die brauchen wir hier nicht. Das kann man mit den vielen verschiedenen Tunings deutlich interessanter gestalten.
Ist es schwierig, ständig umzudenken, wenn du die Gitarre wechselst?
Nein. Die Musik ist ja Stones-, Blues- und Ry-Cooder-lastig und liegt mir deshalb. Aber natürlich muss man immer hochkonzentriert sein und sich darauf einstellen, wie Marius am Abend einen Song interpretiert. Da gibt es von Konzert zu Konzert durchaus kleine Unterschiede.
Plant Westernhagen mit dir auch nach der Akustik-Tour? Bleibst du für Studioaufnahmen in der Band?
Ich hab keine Ahnung, wie Marius plant. Er ist da sehr zurückhaltend, aber natürlich sprechen wir häufig miteinander oder schauen zusammen Fußball. Er wird schon auf mich zukommen, wenn es soweit ist. Das finde ich auch gut an ihm: Marius ist kein Getriebener, sondern eher wie mein alter Chef Robert Palmer, der immer sagte: „I just record music when I have something to say.“
Was machen die Pläne bezüglich deiner eigenen Band?
Ich war jetzt gerade lange in Nashville und hab mit Larry Campbell ein neues Projekt entwickelt, über das ich noch nicht allzu viel erzählen darf. Nur so viel: Es wird einen Film über Woodstock geben, und zwar nicht über das legendäre Festival, sondern vielmehr über diese enorm große Künstlerkolonie in Woodstock. Deren Geschichte wollen wir erzählen.
Außerdem verhandle ich gerade mit dem Produzenten von ‚Buena Vista Social Club‘ darüber, einen Film und ein Konzert zu machen, und zwar in der Scheune von Levon Helm. Infos dazu kann man auch unter Levon Helm‘s Midnight Rambles im Netz finden. Levon ist ja leider verstorben, aber seine Tochter führt das Erbe weiter. Ganz Woodstock steht hinter mir. Das wird ein enormes, aber sehr intimes Konzert mit Leuten wie Jackson Brown, Keb‘ Mo‘ und Taj Mahal. Allerdings: Noch müsst ihr mir alle die Daumen drücken, dass es funktioniert.
Bild: Mineur
Lakewood D-48 Custom mit DeArmond Tone Boss Pickup
Gibt es auch neue Songs aus deiner Feder?
Ja, ich habe eine Handvoll Stücke geschrieben, die ich gerade als Demoversionen aufnehme. Beim Gedanken an die Texte muss ich immer noch tief durchatmen, weil ich mir ein sehr hohes Level setze. Aus gutem Grund, da ich keinen Scheiß erzählen will. Das heißt nicht, dass es nicht auch lustige Songs geben wird, die gehören auch immer dazu.
Und bist du noch bei Peter Maffay?
Ja. Peter macht 2019 ein neues Album. 50 Jahre Peter Maffay – 50 Jahre Woodstock (lacht) – und ich versuche, ein paar Songs aus meinem Repertoire anzubieten, mit deutschen Texten natürlich.
Hat sich dein Songwriting in den letzten Jahren verändert?
Ja, unbedingt. Früher wollte ich wie Little Feat oder Black Crowes klingen, aber das geht natürlich nicht, denn das ist so genial und lässt sich nicht nachahmen. Jetzt bin ich wieder mehr bei mir und meinen Ursprüngen. Deswegen will ich auf meinem nächsten Album unbedingt Randy Newmans ‚Gone Dead Train‘ vom Album ‚Memo From Turner‘ haben, auf dem Ry Cooder mitspielt. Wenn ich mir meine Demos anhöre, zweifle ich manchmal, ob ich nicht zu wenig Amerikaner bin. Aber wenn man es versucht und sich dabei selbst treu bleibt, findet man wieder etwas Neues.
Danke Carl, und viel Erfolg mit deinem Woodstock-Projekt!