In letzter Zeit waren die Amp-Neuerscheinungen von Mesa überwiegend technisch hochgezüchtete Überflieger. Was jüngst in John Petruccis JP-2C gipfelte, mit Glanz und Gloria, muss man ganz objektiv sagen – mega dieser Amp. Und jetzt? Fast schon eine Kehrtwende. Das neueste Topteil ist eher schlicht veranlagt. Was führen die denn damit im Schilde? Wo lauert der Kick?
Die jüngeren Kollegen unter uns können vielleicht mit dem Namen des Amps wenig anfangen und fragen sich, welche Message er transportieren soll. Nun, er bezieht sich auf zwei Veranstaltungssäle, das Fillmore East in New York und das Fillmore West in San Francisco, die zu Legenden geworden sind, weil dort von 1968 bis 1971 viele Berühmtheiten der Musik- /Rock-Musikszene auf der Bühne waren (das Fillmore West wurde 1994 wiederbelebt und besteht bis heute).
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Kult, Mesa wählte den Namen als Tribut an die ikonische Historie, die Retro-Aura symbolisiert parallel dazu die Ambitionen des Amps, unter der offiziellen Überschrift „Pure Vintage Inspiration“. Das klingt rückwärtsgewandt, ja klar, aber die Aussage beschreibt vor allem einen hehren Qualitätsanspruch. In dem Sinne, das genaue Gegenteil von digital und Modeling zu sein.
Den Fillmore 50 kann man wahlweise auch als hinten offenen 1×12-Combo bekommen (ca. € 2599), der mit dem exklusiv für Mesa gefertigten C90 von Celestion bestückt ist, wie auch die drei Open-Back-Cabinets der Modellreihe.
bodenständig
Die Eckdaten der Technik zeugen von einem seiner Natur nach traditionellen Design. Zwei Kanäle, ein serieller Einschleifweg, ein Reverb-Effekt, erzeugt von einem großen/langen Federhallsystem, die Ausgangsleistung auf die Hälfte umschaltbar. Das Ganze in reinrassiger Vollröhrentechnik. Nur die Gleichrichtung der Wechselspannung übernehmen Halbleiter (-dioden). Die Class-AB-Gegentaktendstufe ist mit zwei 6L6GC-Röhren bestückt, in den anderen Funktionssektionen sind insgesamt fünf 12AX7 aktiv, wie üblich alle im eigenen Hause selektiert wie bei Mesa üblich (wer die passenden Original-Endröhren nachkauft, kann sich beim Austausch den Bias-Abgleich sparen).
So einfach und übersichtlich, wie sich das Konzept auf den ersten Blick darstellt, liegt die Sache dann aber doch nicht. Ist doch klar, der Fillmore 50 wäre kein Mesa, wenn nicht irgendwo mindestens eine Spezialität ins Spiel käme. Kommt! … allerdings unerwartet und sie lädt zum Nachdenken ein: Der Fillmore hat nicht wie üblich zwei unterschiedlich konzipierte Kanäle wie Clean und Lead/Distortion. Beide sind technisch gleich. Wie bitte? Ja, kein Unterschied. Grübeln … richtig, das macht natürlich nur Sinn, wenn das Vorstufenkonzept eine große Bandbreite abdeckt.
Na klar, Sound-Schalter, die unterschiedliche Gain-Ebenen und Grund-Sounds im Preamp-Kanal abrufen, gibt es bei vielen Mesa-Amps. Und so auch hier. Clean, Drive, Hi lauten die Namen der Modes, die statisch an der Frontplatte quasi als Sound-Preset vorgewählt werden. Fernbedienung ist nur für den reinen Kanalwechsel (Buchse an der Front) und den Status des Reverb-Effekts vorgesehen (Buchse hinten). Je Kanal abstimmbar sind die Parameter Gain (Vorverstärkung, Intensität der Preamp-Sättigung), Treble, Mid, Bass, Presence, Reverb und Master (-Volume).
Verarbeitung und Substanz werfen keine Fragen auf. Die Fertigungsqualität des Fillmore 50 ist vom Feinsten, was die Großserienproduktion von Röhrenverstärkern zu bieten hat, Mesa eben. Eine gute Portion Handarbeit (z. B. frei verdrahtete Potentiometer), hat daran nach wie vor Anteil. Die elektronische Schaltung ist im Übrigen hochkomplex: ich habe 20 Relais gezählt! Man kann also davon ausgehen, dass sich beim Wechsel der Soundmodes der Funktionsstatus diverser Schaltkreise bzw. ihre Anordnung im Signalweg ändert.
(Bild: Tom Schäfer)
wunderwandelbar
Die drei Grund-Sounds alleine generieren noch nicht die eben angesprochene Bandbreite. Die Kunst liegt vielmehr darin, die Reaktionen, das Verhalten des Preamps bei unterschiedlichen Gain-Einstellungen sensibel und farbenreich zu machen (was ja auch direkte Rückwirkung auf den Einsatz des Guitar-Volume hat). Wobei das Sättigungsverhalten der Verstärkungsstufen eine Schlüsselrolle spielt.
Wie man das formvollendet umsetzt, zeigt der Clean-Modus. Folgendes einfach mal beim Antesten des Fillmore 50 in drei Regionen ausprobieren: Den Gain-Regler auf ungefähr 10:00 Uhr/niedrig, 13:00 Uhr/mittel und 15:00 Uhr/hoch stellen und dabei das Master-Volume entsprechend nachführen. So offenbart sich das Potenzial. Das Abstimmen der Klangregelung ist natürlich auch notwendig, um dann letzten Endes zu wirklich optimalen Ergebnissen zu kommen.
Gain niedrig heißt, man bewegt sich in der wahren Clean-Ebene. Markant ist hier, dass der Fillmore 50 hohe Brillanz entwickelt und insgesamt einen schlanken, in den Mitten eher dezenten Ton formt. Das erinnert entfernt an den Klang alter Vox AC30, wenngleich die Höhen nicht so glockig wirken. Der Treble-Regler hat auf die Brillanz intensiv Zugriff und kann – weit zurückgenommen – die hohen Frequenzen ohne Weiteres weicher, zurückhaltender machen.
Mid und Bass arbeiten durchaus wirkungsvoll, packen aber erst energisch zu, wenn es Richtung Gain/mittel geht. Dort legt das Klangbild in den Mitten erheblich an Masse zu, der Charakter bleibt grundsätzlich clean, leichte „haarige“ Anzerrungen können sich aber bereits dazu schummeln. Vintage de Luxe, strahlender Ton, transparent mit warmem, kraftvollem Volumen, entschlossen in der Attitüde, aber trotzdem angenehm im Spielgefühl – ich sage mal plakativ Blackface-Clean in maximaler Boutique-Finesse.
Im oberen Gain-Bereich nehmen die Röhrensättigungen feinfühlig zu und verdichten sich. Von echten Verzerrungen kann man da noch nicht sprechen, es bleibt bei Overdrive, im Sinne leichter Übersteuerungen. Das ist der Stoff, aus dem man ausdrucksstarke Blues-Licks schöpfen kann. Oder Akkorde mit Retro-Rock-Flair, die Sixties lassen grüßen. Archetypisch und sehr lebendig. Ob rotzig oder fein bestimmt das Bass-Poti. Damit der Clean-Modus vollends auftrumpfen kann, braucht es aber einen gehobenen (Lautstärke-) Pegel. Und der ist definitiv nicht Wohnraum-kompatibel, auch nicht im Half-Power-Betrieb.
Es liegt nahe, anzunehmen, dass im Drive-Modus nur noch Verzerrungen eine Rolle spielen. Dem ist aber nicht so. Man kann wieder von einer Dreiteilung der Sound-Formung sprechen, Gain/niedrig erzeugt hier aber noch immer tendenziell clean wirkende Sounds. Allerdings mit einem ganz anderen Timbre. Starke Betonung der Tiefmitten, die Höhen präsent, aber weiter im Hintergrund, die Basswiedergabe erheblich schwächer. Das ergibt singende Tonfarben mit – je nach Einstellung des Treble-Potis – einer offensiven Note in den Höhen. Quasi-Clean nenne ich das, den Grenzbereich, der von feinen Verzerrungen gefärbt ist, die im Sound-Gefüge der Band bzw. eines Playback aber gar nicht vordergründig werden.
Der Charakter wird noch eindringlicher, wenn man sich in den mittleren und hohen Gain-Bereich begibt. Das Maximum erzeugt bei Akkorden kräftigen Crunch, Einzelnoten im Solo formen sich stabil, ohne Kompression. Dabei stellt der Drive-Modus die höchsten Tonlagen (adäquater Instrumente) erfreulich konkret und kräftig heraus. Der Ton schmeichelt Vintage-Strats und Konsorten. Bezüglich der Klangfarben denke man an John Mayer, Greg Koch, Kenny Wayne Shepherd usw.
Der Hi-Modus bringt die Attitüde des Drive-Modus über die Klippe, die Zerrintensitäten nehmen zu und das Klangbild legt satt an Fülle zu. Das ist der Boost und die Tragkraft, die man für fettere Leadlines bzw. härtere Akkorde braucht. Aber, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wir reden bei Weitem nicht von High-Gain.
Kompression glänzt auch hier wieder mit Abwesenheit. Der Fillmore 50 agiert eben konsequent mit Vintage-Attitüden. Und dazu gehört auch die Eigenheit, dass er erst bei hohen Lautstärken, Master-Volume ca. 15 Uhr, voll durchatmet und all seine Kraft zeigt. Und wie gekonnt! Die Sounds blähen sich auf, längere Noten kippen freudig in kraftvolle Feedbacks um usw.
An diesem Punkt schlägt die Stunde des Half-Power-Schalters. Die halbe Leistung nimmt ein wenig von der Tonfülle, erzeugt aber bei den genannten hohen Aussteuerungen einen etwas zivileren Schalldruck. Anmerkung am Rande: Der Fillmore laut mit viel Gain im Drive- oder Hi-Modus bedingt eine Unwägbarkeit (die technisch in der Natur der Sache liegt), und zwar ein starkes Pegelgefälle zu Clean-Einstellungen (im anderen Kanal). Der potentielle User prüfe bitte ob er damit zurecht kommt.
Wir ziehen ein erstes Fazit: Klanglich ist der Fillmore 50 ein absoluter Könner. Fragt sich nur noch, wie sich die beiden Extras, der Reverb und der FX-Weg, bewähren. Der ziemlich lang ausschwingende Federhall klingt sehr kultiviert und kann so eine wichtige zusätzliche Komponente sein. Wenig zugemischt bläht er unterschwellig das Tonvolumen auf. Vordergründig hörbar gibt er z. B. den Clean-Settings eine schöne Tiefe und zusätzlichen Glanz. Arbeitet der Amp jedoch mit hohen Gain-Aussteuerungen an der oberen Grenze seiner Leistung, verliert der Hall u. U. an Kontur.
Der FX-Weg funktioniert vollkommen unauffällig und ist qualitativ über jeden Zweifel erhaben. Der Anwender muss aber berücksichtigen, dass der Signalpegel nominell bei ca. +4dB liegt (dazu gibt es im umfangreichen Handbuch keine Angabe). D. h. ein Effektgerät, das am seinem Ausgang über -10dB nicht hinauskommt, hindert den Fillmore daran, die Vollaussteuerung zu erreichen. Somit haben hier viele Pedale keine Chance. Es sei denn, man hilft mit einem Line-Booster, eingeschleift zwischen dem Pedal-Ausgang und dem FX-Return, nach.
resümee
Am Fillmore 50 werden die Boutique-Hersteller zu knabbern haben, denn er besetzt die Kategorie „Hot Rodded American Vintage“ ganz oben auf der Qualitätsskala. Maximale Tonkultur, sensibel und detailversessen, trifft auf hohe Flexibilität. Das Konzept geht im Rahmen der technischen Möglichkeiten voll auf. Zu empfehlen ist der Amp Gitarristen, die in Sachen Sound anspruchsvoll sind und zudem wissen, welchen bedeutsamen Wert so ein hochgradig reaktiver Verstärker für die Umsetzung/Entwicklung der Spieltechnik respektive des musikalischen Ausdrucks darstellt.
Neben der Funktionalität sorgt auch die sehr hochwertige Substanz/Verarbeitung für ein rundum positives Endergebnis: Preis und Leistung stehen zweifelsfrei in einem gesunden Verhältnis.
PLUS
• exzellente Sound-Formung, hohe Variabilität
• Dynamik, Ansprache, sehr obertonfreundlich
• harmonisches Zerrverhalten
• warmer Hall
• geringe Nebengeräusche
• sehr gute Verarbeitung, Qualität der Bauteile MINUS
• schwaches Licht der Status-LED im Schaltpedal
Hinweise zu den Soundfiles
Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-membran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, beide nahe platziert vor einer konventionellen 4×12-Box bestückt mit Celestion Vintage 30.
Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.
Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg) und eine Steinberger GL4T.
Clip 9 stellt den Federhall-Effekt des Fillmore 50 vor.
Clip 10 präsentiert mein „Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich mit jedem Test-Amp/-Distortion-Pedal einspiele, damit man den Charakter (die Verzerrungen selbst sind hier gemeint, nicht die Frequenzkurve) der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann.
Über Kopf-/Ohrhörer wird man die Sound-Qualitäten des Fillmore 50 kaum erleben. Deshalb gilt hier bei diesen Clips, noch mehr als sonst: bitte laut anhören, über vernünftige HiFi-Boxen ;-).
Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.