Nach seinem erfolgreichen Projekt Errorhead vollzog der Wahl-Hamburger mit seiner Band The Blue Poets die Rückkehr zu seinen musikalischen Wurzeln. Mit ‚Live Power‘ serviert er das dazugehörige Studiodebüt derzeit auf der Bühne. Auch in Sachen Equipment kehrt der „Guitar Gourmet“ zurück zu seinen Anfängen.
Seit gut zwei Jahren widmet sich der 50- Jährige voller Hingabe und Leidenschaft seinen musikalischen Wurzeln mit Jugendhelden wie Gary Moore, Jimi Hendrix, Ritchie Blackmore und B.B. King, um nur einige zu nennen. Acts also, die in der Zeit seiner „musikalischen Sozialisation“ in den 70er-Jahren Musikgeschichte geschrieben haben. Deml, bekanntlich umfassend musikalisch ausgebildet und G.I.T.-Absolvent, demonstriert auf seinem aktuellen Konzertmitschnitt ‚Live Power‘ einmal mehr, dass er ein Meister der Stratocaster ist, und was klanglich alles geht, wenn man das Instrument beherrscht.
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Sein Intro zu ‚Too High‘ oder sein Spiel auf ‚People Get Ready‘ mit seiner 1963er Olympic-White-Strat zeigen, dass er das Wesen des Instruments verinnerlicht hat und dynamisch-geschmackvoll jene Sounds serviert, die Liebhabern dieses Gitarrenklassikers ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und das, obwohl Deml diesmal statt luxuriöser Boutique-Amps auf bodenständige Verstärkung von der Stange setzt.
interview
Marcus, viele Bands der 70er-Jahre kultivierten die Kunst des Konzert-Intros. Ich denke da an Deep Purple oder Rainbow. ‚Won’t You Suffer‘ ist da ein bisschen entlehnt, oder?
Sicher. Für mich ist ein Intro wichtig, damit die Leute erst mal reinkommen. Meine Lieblingsplatten als Kind, noch bevor ich anfing Gitarre zu spielen, waren Live-Scheiben: Deep Purples ‚Made In Japan‘, Rory Gallaghers ‚Irish Tour‘, Jimi Hendrix‘ ‚Band Of Gypsys‘ und Johnny Winters ‚Still Alive And Well‘. Diese Scheiben gingen meist auch mit großem Tamtam los.
Wie wichtig ist ein Intro für euch als Band?
Wir peitschen uns damit hoch, wie vor einem Sport-Match. Denn wenn dann das erste Lied losgeht, bist du einfach fokussierter. Du erahnst außerdem wie der Raum klingt und machst die Leute neugierig. Als ich noch Mietmusiker war, war das manchmal ziemlich lasch, da musstest du alles aus dir selbst rausholen. Mal hatte der eine keinen Bock, mal jemand anderes. Aber dafür ist mir meine eigene Musik zu wichtig.
Du sagst über diese Produktion: „Keine Tricks, keine Korrekturen, keine Computer.“ Die Musikalität ist die Stärke dieser Band.
Unser Equipment ist so simpel, dass es fast schon absurd ist! Es kommt nichts vom Band oder aus dem Computer. Es gibt auch keinen Click-Track. Wenn du einen Blues-Shuffle zum Click spielst, hast du ein Problem: Es klingt einfach Scheiße! (lacht) Ich habe überhaupt nur bei zwei Acts, für die ich gearbeitet habe, ohne Click gespielt. Ansonsten wird in Deutschland immer Click angeboten. Es muss halt marschieren! (lacht) Wir dagegen legen lediglich das Tempo vorab mit dem Click fest. Denn vier Beats schneller oder langsamer können einen Song schon versauen. Ansonsten ist es eine Show wie in den Siebzigern: da stehen ein paar Langhaarige auf der Bühne und machen Krach! (lacht)
Die Blue Poets klingen tatsächlich klassisch.
Das Schöne an dieser Band ist, dass sie angreifbar ist. Bei Errorhead haben wir exakt zum Click gespielt, die Parts waren ausgearbeitet und teilweise auch tricky. Und wenn‘s jemandem nicht gefallen hat, dann haben wir wie Herbert von Karajan bei den Wiener Festspielen geantwortet: Tja, sie verstehen halt leider nichts von Musik! (lacht) Bei den Blue Poets dagegen spielen wir Musik, der jeder folgen kann. Auch wenn einige Jugendliche sich vielleicht fragen: Was ist das? Wieso spielt der in jedem Song ein Gitarrensolo? Ist das nicht verboten? Und das auch noch komplett nackig. Die Songs sind rau, es gibt keine Studio-Politur, du kannst dich nicht hinter großen Lichteffekten verstecken, es gibt auch keine Explosionen wie bei Rammstein. Unsere Musik ist sehr männlich, auf eine gewisse Art und Weise.
Wie viel Raum lässt du der Band für Interaktion und Improvisation?
Ich möchte da gerne zurückfragen: Warum ist das Musik-Business heute zu so einer lächerlichen Karaoke-Show verkommen? Es gibt so viele Künstler, vielleicht sogar bessere Musiker denn je. Aber was im Mainstream läuft, ist sowas von durchgetaktet! Jede Ansage, jede Bewegung, wann das Licht einsetzt, wann die Kamera auf die Bluse draufhält. Das ist fast schon Comedy. Und Live? Woher kommt plötzlich dieser gigantische Chor? Da ist doch niemand? Ich will das nicht bewerten. Aber ich finde das extrem unspannend. Wenn ich das im Fernsehen sehe, denke ich: Läuft nicht irgendwo eine schöne Doku über die Kreidezeit? (lacht)
Kommen wir zu deinen Instrumenten: Zu deiner Hauptgitarre, einer 1963er-Oly-White-Strat (genannt „Headhole“) und einer schwarzen 1990er-Reissue-Strat (genannt „Lee“) kam zuletzt eine 1963er-Dakota-Red (genannt „Red Eye“) dazu, die jedoch einiger Fürsorge wie einer Halskorrektur bedurfte. Wie hat sie sich entwickelt?
Die Gitarre ist nicht mit auf Tour, aber „Red Eye“ geht’s gut. Einer meiner Freunde, der auch Gitarren sammelt und viele schöne alte hat, klopfte den Body ab und sagte, das sei ein „B-Instrument“. Der Korpus habe keinen schönen Ton. Also habe ich einfach mal dickere Saiten aufgezogen. Ich spiele ja sonst eher mädchenmäßig .009-.046 Sätze. Hier habe ich dann .011er draufgezogen, sie runtergestimmt und siehe da: das Ding ging auf einmal ab wie eine Rakete. Jetzt ist sie meine Drop-Tuning-Gitarre und ist auf Es gestimmt. Sie hat jetzt genau diesen Stevie-Ray-Vaughan-Sound! Cool! Es ist halt nur leider nicht mein Sound (lacht)
Was ist noch dazu gekommen?
Ich habe tatsächlich ein paar Gitarren gekauft. Von meiner Les Paul Gold Top habe ich dir bei unserem letzten Gespräch schon erzählt. Jetzt habe ich mir eine Stratocaster aus den 70ern gekauft. Sozusagen mein Ritchie-Blackmore-Modell: Baujahr ‘77, mit einem Hals von 1972, der auch noch gescallopt ist. Sie wiegt ein Tonne! Aber sie sieht halt genauso aus, wie man sich eine Oly-White-Strat aus den 70ern erträumt: schön klosteinfarben oder zahnsteingelb, je nachdem wie man das nennen will. (lacht)
Ein Freund riet mir, ich solle da unbedingt eine alte Brücke draufschrauben, nicht diesen Scheiß-Zink-Block mit Gussreitern, das sei alles Mist. Das habe ich dann auch gemacht – und dann gefiel mir der Ton der Gitarre nicht mehr! Nachdem ich sie zwei Monate geächtet hatte, habe ich die originale Brücke wieder draufgebaut und siehe da: das ist zwar die Schrottbrücke, die alle hassen – aber es klingt geil.
Die originalen Pickups haben leider gepfiffen und beim hinteren war gar nichts mehr los. Also habe ich mein Blue-Poets-Set von Andreas Kloppmann reingebaut. Von der Gitarre gibt’s jetzt auch einige YouTube-Clips. Sie hat diesen Albert-Collins- oder David-Gilmour-Sound, finde ich.
Dann habe ich mir noch eine Gibson ES-335 gekauft. Einen Tag nach B.B. Kings Tod. Ich kannte diese Gitarre schon seit zwölf Jahren. Der Vorbesitzer war mal bei einem meiner Workshops. Er kam einfach nicht mit dem Teil klar. Eine ES-335 wollte ich schon lange, denn bevor ich Rocker wurde, war ich Blueser. Wenn ich nicht Gary Moore mit seiner Strat gehört hätte, wäre die ES-335 meine Hauptgitarre geworden. Meine ist jedenfalls von 1969, exakt das Larry-Carlton-Modell: gleiches Sunburst, gleiches Baujahr, nur 1966er-Potiknöpfe. Irgendjemand hat mal das Trapeze-Tailpiece runtergenommen, aber das ist okay. Sonst musst du hinten immer eine Socke drunterstopfen, sonst hast du dieses Drone-Sound-Problem.
Du bist Fender-Endorser. Was gibt es da Neues?
Ich habe mit einigen Fender-Gitarren experimentiert und festgestellt, dass neue Gitarren auch sehr gut sind! (lacht) Aber ich denke, ich habe auch die Lösung gefunden, warum alte Gitarren doch noch besser sind: weil sie 50 Jahre gespielt wurden! Ich glaube, das ist es. Denn das Holz ist heute nicht schlechter. OK, Rio-Palisander gibt es nicht mehr, also würde ich bei neuen Strats definitiv Maple Necks wählen. Deswegen spiele ich auch wieder viel meine Reissue, weil sie diesen wunderbaren Ahornhals hat und außerdem einen Humbucker, den ich für die Blue Poets brauche.
Wie siehst du den klanglichen Unterschied zwischen Maple- und Rosewood-Neck?
Meine Reissue-Strat mit Ahornhals hat tatsächlich wesentlich weniger Höhen, als meine weiße mit Rosewood-Griffbett. Das liegt aber daran, dass der Lack fast abgespielt war und ich den Rest abgeschliffen hab. Der höhenlastige Sound kommt tatsächlich durch den Lack. Also kann sich jeder selbst entscheiden, ob er den runternimmt. Ich habe eine Seafoam Green Stratocaster Reissue von 1982 und seit ich da meine Blue-Poets-Pickups drin hab, spiele ich die auch wieder. Da ist eine Menge Lack auf dem Hals und die Gitarre klingt affengeil.
Andersherum habe ich mal bei einer Telecaster den Hals abgezogen und gerelict. Ich dachte, was die im Fender-Custom-Shop können, kann ich auch! (lacht) Hat auch ganz gut geklappt: drei Tage mit Kaffee, Teebeuteln, Zigaretten und Öl. Am Ende habe ich die Gitarre, die vorher echt super klang, gekillt. Nur, weil ich den Lack vom Hals abgezogen habe. Die war tot.
Im Studio hast du den Tube Thomsen 50 Watt Errorhead und den Nepomuc Signature Amp gespielt. Bei den Blue Poets hast du nicht so heiße High-Gain-Sounds am Start.
Ja. Ich spiele aktuell die gleiche Anlage wie mit 15. Ich habe mir vor vier Wochen einen Marshall JCM 800 gekauft, dazu ein Boss Distortion, ein Boss Delay und mein Sweet Elephant Signature Distortion. Ich habe mir die Frage gestellt, ob man nicht auch mal loslassen muss. Denn wenn ich nicht mit einer halbwegs anständigen Stratocaster und einem Marshall-Amp klarkomme, was dann? Jeder kann zu einem Boutique-Builder und sich seinen Traum-Amp bauen lassen. Und ich gestehe: auch ich sammle Amps und habe bestimmt 18 Stück zu Hause. Es macht Spaß, wenn man switcht. Aber das lenkt auch ab. Du denkst schnell: Ach, ich klinge heute irgendwie nicht so toll. Klar, weil ich gestern Wein getrunken, nur drei Stunden gepennt, und die Steuererklärung gemacht habe. Und dann schaltest du weiter …
Du hast vorhin deine Effekte erwähnt. Hast du dein Board umgebaut?
Ja. Und die wichtigste Frage – die stelle ich auch immer bei meinen Workshops – ist, wie klingt dein Amp mit ausgeschaltetem Lieblingspedal? Wenn du deine Gitarre pur in den Amp gut findest, dann schau, was mit deinen additiven Pedalen passiert. Behältst du noch deinen Sound? Momentan habe ich von meinem alten Board beibehalten: eine selbstgebaute A/B-Box – das ist ein passiver Loop – ein TC Electronic Stimmgerät, ein MXR Phase 90 und ein Boss DD-3 Delay. Die sind aus der Kette. Vorgeschaltet sind das Yamaha UD Stomp Delay, mein Sweet Elephant Signature Distortion und das Boss DS-1 Distortion. Auch wenn ich den Boss fast clean spiele, ist er fast den ganzen Gig über an. Egal, ob ich beim Gary Moore Memorial Concert bin oder bei Fender eine Clinic spiele: Stell mir einen Marshall hin und diese Pedale – und alles ist gut.
Auf ‚Could Have Lived‘ hast du wieder einen geschmackvollen Wah-Sound.
Inzwischen habe ich gar kein Wah-Wah mehr auf meinem Board und versuche das live mit dem MXR zu simulieren. Ich habe seit 20 Jahren ein Cry Baby, aber nur alle 300 Songs, wenn mir gar nichts anderes einfällt, setze ich es ein. Ich habe eine Regel: ich benutze kein Wah mehr, es sei denn, ich spiele ein Hendrix-Tribute-Konzert!
discografie
Errorhead (1998)
Error Rhythm (2004)
Modern Hippies (2008)
Live (DVD) 2010
Organic Pill (2012)
Evolution (2014)
The Blue Poets (2016)
Live Power (2018)