Meermann und Soundfreak

Unbekannte Helden: Jim Thomas

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Jim Thomas
(Bild: Jim Thomas, KMA)

Diesmal schippert der Unbekannte-Helden-Workshop ins sonnige Kalifornien, genauer gesagt nach Santa Cruz. Dort lebt Jim Thomas, Kopf und Gitarrist der Neo-Surfband ‚The Mermen‘ und schafft aus Surfsound, Psychedelic-Klängen, Feedback-Orgien und Loops sein eigenes musikalisches Universum. Heraus kommt Musik, die zwar tief in der kalifornischen Tradition verwurzelt, aber dennoch Lichtjahre vom typischen Retroansatz der Surfszene entfernt ist.

Nachhören kann man das auf gleich zwei aktuellen Veröffentlichungen – dem Studioalbum ,We Can See It In The Distance‘ und der live im Studio eingespielten Scheibe ,The Magic Swirling Ship‘, die Jim mit seinen Mitstreitern Martyn Jones (Drums) und Jennifer Burns (Bass) in Hochform zeigt.

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Leben

Das Licht der Welt erblickte Jim am 23.11. 1953 in York, New Jersey. Inspiriert von den Beatles und Rolling Stones begann er in den Sechzigern Gitarre zu spielen. Er hatte ein paar Gitarrenstunden, laut eigener Aussage „ohne wirkliches Ziel“ und verfolgte Musik eher als privates Hobby.

Jim mochte Bob Dylan, Motown und den Soundtrack zum Surf-Movie ,The Endless Summer‘, spielte aber nie in einer Band. 1987 kam er nach San Francisco, was sich Als Wendepunkt in seiner Biografie erweisen sollte. Jim beschreibt diese Phase seines Lebens so: „Ich fand eigentlich alles Scheiße in meinem Leben. Ich hatte 30 verschiedene Jobs gehabt, war 35 und fragte mich: Was soll ich jetzt machen? Ich arbeitete als Kellner und surfte die ganze Zeit. Aber ich hatte nie die Disziplin, in eine Band einzusteigen, war nie interessiert, etwas zu lernen, Songs fertigzustellen oder so etwas in der Art. Als ich nach San Francisco kam, arbeitete ich in einem Musikgeschäft. Sie hatten immer 4-Spur- Recorder da und ich musste sie irgendwelchen Leuten vorführen und dabei schrieb ich Songs!“

Aus den Demo-Aufnahmen wurde 1989 das erste Mermen-Album ,Krill Slippin‘. Zum Konzept der Band erklärt Jim Folgendes: „Der Kern der Band waren meine Eigenkompositionen. Unser Drummer kommt von der Captain-Beefheart-Schule. Er hätte keine Lust gehabt, mitzumachen, wenn die Mermen Musik nicht künstlerischer und anders gewesen wäre, als der übliche Surfkram, den viele Bands damals spielten. Er mochte meine Stücke. Der Deal war also, dass dieMusik der Band um meine eigenen Stücke herum aufgebaut werden sollte, aber wir haben auch immer ein paar Coverversionen gespielt.“ Zu diesem Zeitpunkt klangen The Mermen noch recht traditionell, mit cleanem, halligem Gitarrenton und kompakten Songs im 3- Minuten-Format. Das Trio aus Jim, Allen Whitman am Bass (der übrigens später bei Joe Satrianis Album ,Black Swans & Wormhole Wizards‘ mitwirkte) und Drummer Martyn Jones spielte in der Gegend um San Francisco und begann eine treue Fanbase um sich zu scharen.

Durch die Liveauftritte entwickelte sich die Musik weg vom traditionellen Surfsound: „Wir haben angefangen, über bestimmte Teile der Stücke zu improvisieren, sie in die Länge zu ziehen. Wir waren laut, viel Feedback, meine Amps voll aufgedreht, das war eine verrückte Zeit. Die Energie einiger dieser Shows war aus einer anderen Welt“ – erzählt Jim über diese Phase, die man gut auf dem Album ,The Mermen At The Haunted House‘ nachhören kann. 1994 war das Trio dann zur rechten Zeit am rechten Ort. Durch den Film Pulp Fiction gab es ein Surf-Musik-Revival, The Mermen bekamen einen Major-Label-Vertrag und tourten landesweit – ein Erfolg, von dem die Band bis heute zehrt: „Es war erstaunlich, es war der Höhepunkt des Erfolgs der Mermen. Wenn du bei einem Major-Label bist, kümmern sie sich um alles. Wir waren fast zwei Jahre nonstop auf Tour und als ich zurückkam, hatte ich einen 3–4 Zoll dicken Stapel von Besprechungen und Artikeln aus der ganzen Welt. Der Nachhall von so etwas hält extrem lange an!“

Jim Thomas' Studio
Chaotisch aber funktional: Jims Studio (Bild: Jim Thomas, KMA)

Zwischen 1994 und 2000 veröffentlichten The Mermen 5 Alben, spielten auf großen Festivals wie dem Burning Man in Nevada und brachten ihre Musik in diversen Videospielen unter. Jim Thomas konnte endlich vom Musikmachen leben: „Vorher hatte ich zwei Fulltime Jobs! Bis fünf habe ich im Musikladen gearbeitet und danach, bis zwei Uhr morgens im Cookie Laden. Das war verrückt.“ Die Musik entwickelte sich stetig weiter. Nach den Feedback-Experimenten Mitte der 90er vergrub sich Thomas im Studio und griff für ,The Amazing California Health and Happiness Road Show‘ auf ein Kaleidoskop an Einflüssen zurück. Zu Surf und Psychedelic kamen World Music, Jazz, Ambient und sogar Country hinzu. Thomas ist großer Fan von Wes Montgomery und dem Byrds- Gitarristen Clarence White und verarbeitete Elemente ihres Spiels, ohne sie zu kopieren.

Nach der allseits gelobten Platte wurde es ruhiger um die Band. Ihre Plattenfirma ging pleite, und Jim musste sich um alle Belange des Musikbusiness selbst kümmern – eine Position, die er nicht unbedingt mag: „Ich bin selbst mein größter Feind, wenn es um meine Karriere geht. Ich könnte viel mehr Geld machen, wenn ich organisierter wäre. Aber ich bin nicht einer dieser Typen mit Unmengen Energie, die alles selbst erledigen.“ Jim baute sich ein eigenes Studio und veröffentlichte erst 2010 wieder ein Album.

Jim Thomas
(Bild: Jim Thomas, KMA)

,In God We Trust‘ klang relaxter und melodischer und hatte mehr Surfmusik im Sound als der stark von ProTools und zahlreichen Overdubs geprägte Vorgänger. Karrieremäßig lässt der mittlerweile in Santa Cruz wohnende Gitarrist es heute ruhiger angehen und lebt von Einnahmen aus Song-Licensing, Werbe-Jingles, Filmmusik und dem Tonträger-Verkauf an die treue Fanbase: The Mermen spielen nur noch ausgewählte Shows in Santa Cruz und der Gegend um San Francisco. „Touren ist harte Arbeit und teuer und ermüdend. Ich bin da irgendwie drüber hinaus. Ich mag, wo ich lebe, den Ozean und Surfen und will nicht ständig total erschöpft sein.“

Equipment + Studio

Jim Thomas richtet sein Equipment – im Gegensatz zu vielen anderen Surf-Musikern – nicht an historisch korrekten Vorgaben aus, sondern verwendet eher Gerätschaften, die seinen Sound-Ideen entsprechen. Seine Lieblingsgitarre ist die Stratocaster. „Ich bin so daran gewöhnt, Stratocaster zu spielen, dass ich irgendwie nicht davon wegkomme. Ich kriege mit anderen Gitarren nie schnell genug das hin, was ich möchte.“

Jim Thomas' Gitarren
Thomas ist Strat-Player durch und durch. Die Semihollow-Varianten kommen besonders für Feedback-Orgien zum Einsatz. (Bild: Jim Thomas, KMA)

In den Neunzigern verwendete Jim Fender-Dual-Showman-Amps der Red- Knob-Serie. Live kamen sechs voll aufgedrehte Amps mit dazugehörigen Boxen zum Einsatz, was sich in einer gehörigen Lautstärke niederschlug. Jim ließ seine Gitarren umbauen, sodass die einzelnen Pickups über verschiedene Ausgangsbuchsen zu verschiedenen Preamps und unterschiedlichen Verstärkern geschickt und zusammengemischt werden konnten. Hinzu kamen Doubleneck-Gitarren, die aus verschiedenen American Standards zusammengebaut wurden (Jim hatte zu dieser Zeit einen Endorsement-Deal mit Fender) und ein riesiges Effekt-Rack. Jim lacht: „Das war ein echt kompliziertes Setup!“

Jim Thomas' Amp & Pedalboard-Setup
Jims Amp&Pedalboard-Setup (Bild: Jim Thomas, KMA)

Heute sieht der Equipment-Park relativ übersichtlich aus. Jim verwendet sechs American Standard- Strats, darunter zwei Hollowbody-Modelle, die für Feedback-Parts zum Einsatz kommen. Drei Gitarren sind auf verschiedene Open-Tunings gestimmt, der Rest befindet sich in Standard-Stimmung. Als Pickups kommen Low-Output-Seymour- Duncans zum Einsatz. Jim nutzt meist den Bridge-Pickup, dessen Signal in den Normal Channel eines Viktoria 80 Watt-Bassmans und eines Clark Tweed-Amps geht.

Jim Thomas
(Bild: Jim Thomas, KMA)

Der Tone-Regler wird oft etwas zurückgedreht. Für den surfigen Hall zeigen sich ein Kendrick Tube Reverb und ein Strymon Big Sky verantwortlich. Andere Effekte wie ein ProCo-Rat-Verzerrer oder ein Vemuram- Jan-Ray-Overdrive werden eher sparsam eingesetzt. Für die Loop-Parts kommt ein Boomerang Phrase-Sampler zum Einsatz.

Die zwei aktuellen Alben hat Jim im eigenen Studio eingespielt. „Ich hatte mal ein größeres Studio, mit Control Room, aber mein Geld kommt und geht inWellen und deswegen ist es jetzt etwas minimalistischer: nur ein Raum, ein paar Neve und Chandler Preamps – und das wars!“ Der Bass ging direkt ins Pult, die Gitarre über den Viktoria-Amp in ein Iso-Cabinet mit SM 57, sodass die Drums ohne Übersprechungen mit Mikros aufgenommen werden konnten.

Stil + Sounds

Da Jims musikalischer Ansatz stark von Themen und Songs geprägt ist und nicht so sehr von typischen Solo- Licks oder Techniken, habe ich den Eröffnungstrack des neuen Mermen-Albums ,In The Golden Sun‘ transkribiert. Im Intro findest du ein klassisches Surf-Lick, bei dem der Grundton chromatisch angenähert wird – beliebt bei Chuck Berry, Duane Eddy und unzähligen anderen Twangfreunden. Im A-Teil liegt die Melodie auf den Bass-Saiten und sollte nahe am Steg angeschlagen werden, um den typischen Twang-Sound zu erzielen. Bei allen längeren Noten kannst du dezent den Vibratohebel einsetzen. Der B-Teil lebt von den eingeschobenen 2/4-Takten. Im C-Teil nutzt Jim Akkorde, um die Melodie fetter klingen zu lassen – eine Technik, die man vor allem von Jazz-Gitarristen kennt, die mit Dreiklängen aber auch gut im Surf- und Rock-Kontext funktioniert. Auch hier kommt der Vibratohebel gut bei den länger klingenden Akkorden.

(Bild: Jim Thomas, KMA)

Generell lebt die Musik der Mermen von klaren Melodien, die immer wieder dezent variiert werden. Jim sagt dazu: „Die Songs haben eine Struktur, aber dann improvisieren wir über bestimmte Parts oder eine Bridge. Das haben wir seit dem zweiten Album ,Food For Other Fish‘ immer so gemacht. Auch die Solos und Feedback-Parts entstehen spontan – ich drehe den Amp auf und schaue was passiert‘. In diesem Sinne wünsche ich viel Spaß mit den musikalischen Ideen von Jim Thomas!

Jim Thomas Noten

[5100]


(Aus Gitarre & Bass 06/2018)

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