Im Interview

The Lemon Twigs: Jung, Wild, Retro

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The Lemon Twigs
(Bild: Matthias Mineur)

Der eine bewegt sich auf der Bühne wie der jugendliche Mick Jagger, der andere sieht aus wie Ron Wood als Teenager: Die Brüder Michael und Brian D’Addario sind die Galionsfiguren der amerikanischen Rockband The Lemon Twigs. Nein, falsch, sie sind The Lemon Twigs und abwechselnd mal Schlagzeuger, mal Gitarrist, Bassist oder Keyboarder, und mal Sänger der Gruppe, mitunter sogar alles gleichzeitig.

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Genau genommen arbeiten The Lemon Twigs als Duo, zu den Konzerten werden mit Bassist Daryl Johns, Schlagzeuger Andres Valbuena und Keyboarder Tommaso Taddonio drei helfende Paar Hände dazugebucht. Wir haben diese aufregende junge New Yorker Band Mitte August beim Haldern Pop Festival getroffen, wo sie eine sehenswerte Performance ablieferte und das Publikum bereits nach wenigen Takten auf ihrer Seite hatte. Und auch wenn sich in ihre Darbietungen noch die eine oder andere ungewollte Blue Note mischte, faszinierte die Gruppe mit ihrer charismatischen Show und einem stilistischen Querschnitt durch die Geschichte der internationalen Rock- und Popmusik.

Nur wenige Minuten nach ihrem Gig trafen wir uns dann im Backstage-Bereich des Festivals mit Michael, dem 19 Jahre alten, jüngeren D’Addario-Bruder, der zunächst den coolen Rock-Star gab und durchblicken ließ, dass ihm konventionelle Antworten auf konventionelle Fragen eigentlich ein Gräuel sind.

Interview

Michael, wie ist es zur Gründung dieser ungewöhnlichen Band gekommen? Stammen dein Bruder Brian und du aus einer musikalischen Familie?

Mein Vater war Gitarrist und Songschreiber in einer Rockband, er tourte häufig mit dem irischen Folksänger Tommy Makem, brachte es mit seinen eigenen Formationen allerdings nie zu größerem Ruhm. Meine Mutter arbeitete an einem Musiktheater … (denkt kurz nach) … wie lautete noch gleich deine Frage?

Ich würde gerne wissen, wie diese Band entstanden ist.

Ach ja, sorry, also: Brian und ich wuchsen mit den Beatles und den Beach Boys auf. Als kleiner Junge nimmt man das in die Hand, was einen am meisten fasziniert, und das war in meinem Fall zunächst das Schlagzeug. Aber ehrlich gesagt stelle ich mir selbst nie die Frage, wie jemand zur Musik gekommen ist.

In diesem Fall habe ich sie ja auch gestellt. (Grinst)

Okay, du hast Recht. Ich war von Musikern fasziniert, deren Songs wirklich von Bedeutung sind. Ich meine: nicht nur von Bedeutung, sondern eben richtig gute Songs. Und mit einem gewissen Zusammenhang zu meinem eigenen Leben. Beantwortet das deine Frage?

Teilweise. Wer hat denn eher mit dem Musikmachen begonnen, du oder dein zwei Jahre älterer Bruder?

Brian war der erste. Für mich war er immer schon ein kleines Wunder, er konnte schon mit elf oder zwölf exakt wie The-Who-Gitarrist Pete Townsend spielen. Brian nahm mit sieben Jahren zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand und hatte drei Jahre später schon ein unglaublich gutes Gefühl für sein Instrument. Er konnte die geforderten Parts nicht nur einfach nachspielen, sondern gab ihnen automatisch ein ganz eigenes Feeling. Verstehst du, was ich meine?

Ich kann es mir zumindest vorstellen.

Okay, also was ich meine: Brian fing im Alter von fünf mit dem Schlagzeug an, ich folgte ihm zwei Jahre später, als auch ich gerade erst fünf war.

Das erklärt vermutlich, weshalb Brian und du dermaßen versierte Rhythmusgitarristen seid.

Gut möglich. Ich könnte gar nicht anders Gitarre spielen. Aber ich finde, dass meine Fähigkeiten auf der Gitarre nur OK sind, der weitaus Bessere von uns beiden ist Brian. Wenn Brian wollte, könnte er problemlos meine Parts übernehmen, was aber im umgekehrten Fall nicht funktionieren würde.

Ab wann habt ihr begonnen, eigene Songs zu schreiben und öffentlich aufzutreten?

Mit etwa sieben haben wir angefangen, Stücke zu covern. Als Brian dann etwa zwölf war, und ich zehn, haben wir erstmals eigene Songs geschrieben und gespielt. Zunächst Brians Stücke, später dann auch meine. Anfangs hat Brian Gitarre gespielt und ich habe dazu getrommelt. Gegen Ende der Highschool-Zeit haben wir dann immer häufiger auch gewechselt, also ich an der Gitarre und er am Schlagzeug oder umgekehrt. Das ist unsere Geschichte.

Komponiert ihr gemeinsam oder getrennt voneinander?

Meistens zusammen. Wir haben keine feste Formel, wir machen immer das, was dem Song hilft. Wenn er mit einer Idee nicht weiterkommt, helfe ich ihm, und wenn ich ins Stocken gerate, greift er mir unter die Arme.

Welche Rolle spielen deine Eltern in diesem Zusammenhang. Haben sie euch tatkräftig unterstützt? Oder stehen sie der Entwicklung als angehende Berufsmusiker warnend gegenüber?

Warnend? Weshalb warnend? Nein, sie unterstützen uns! Sie wollen, dass wir alles ausprobieren, egal ob wir damit auf die Schnauze fallen oder nicht. Sie sagen: Es ist jeden Versuch wert, auch wenn man scheitert, man muss es nur versucht haben. Allein mit dieser Haltung haben sie uns immer sehr ermutigt.

Hast du nach dem Ende der Highschool etwas anderes gemacht als Musik?

Nein, ich habe im Sommer 2017 die Highschool beendet und bin seither mit The Lemon Twigs auf Tournee. Nur unterbrochen von den Arbeiten an unseren Alben. Mir geht es darum, möglichst viel zu lernen, über Musik, über das Business, über die Welt. Das Leben ist eine einzige große Reise, und auf die habe ich mich begeben.

Eine Reise, die vor wenigen Jahren mit einer Kassettenaufnahme begann. Mit einer Kassette!

Ja, sicherlich ungewöhnlich, aber ich war damals gerade erst 14, was die Sache hoffentlich entschuldigt. Die Dinger lagen eine Zeitlang bei uns herum, bis ein Typ sich meldete, der sie über sein Label vertreiben wollte. Für uns war das gut, denn so hatten wir etwas, das man nicht nur bei den Konzerten verkaufen konnte. Als die Dinger vergriffen waren, haben wir unser erstes richtiges Album aufgenommen.

Auf welchem Level war die Band zu diesem Zeitpunkt in technischer Hinsicht?

Das kann ich nur schwer beantworten. Wir waren noch nie eine Band, die das gemacht hat, was unserer Meinung nach die Leute von einer Band erwarten. Das war nie unser Ding. Wir haben immer nur das gemacht, was wir selbst von uns erwartet haben. Damals waren die Ideen vielleicht noch nicht so sorgsam durchdacht wie heute. Jetzt wissen wir, dass es beim Songwriting auch darauf ankommt, die Stücke später live spielen zu können und stolz auf sie zu sein. Trotzdem: Bevor wir sie aufgenommen haben, mussten wir zunächst selbst von ihnen restlos überzeugt sein. Erst dann wurden sie eingespielt und möglichst gut gemischt. Bei uns läuft so etwas intuitiv ab. Und wenn die Leute das Ergebnis dann tatsächlich mögen, freut es uns natürlich umso mehr.

Hat euch der finale Sound eures neuen Albums ‚Go To School‘, das Ende August erschienen ist, und das erkennbar große Potential dieser Band selbst ein wenig überrascht?

Nein, eigentlich nicht. Das Problem war zunächst vielmehr, dass wir kein geeignetes Equipment besaßen, um es so klingen lassen zu können, wie wir es gerne gehabt hätten. Alles wurde mit einer 24-Spur Bandmaschine aufgenommen, dann auf zwei Spuren zusammengemischt und schließlich auf CD gepresst. Die gesamte Scheibe wurde in unserem Keller aufgenommen, wir haben unsere gesamte Kohle zusammengekratzt, das Recording-Equipment gekauft und uns dann – learning by doing – einfach an die Arbeit gemacht.

Nach welchen Kriterien wurde im Studio entschieden, wer von euch welches Instrument übernimmt?

Nun, wir haben jedenfalls nicht permanent überprüft, wer das jeweils beste Feeling für ein Instrument oder ein bestimmtes Stück hat. Es kam spontan und intuitiv. Ich habe beispielsweise auf allen meinen Songs das Schlagzeug gespielt, und darüber hinaus auch auf einigen von Brians Songs. Aber es gab auch ein paar Nummern, bei denen Brian so konkrete Vorstellungen hatte, dass er sie selbst eingetrommelt hat. Doch was soll`s, keiner hat sich bislang darum gekümmert, wer bei uns was genau eingespielt hat.

Dann bin ich jetzt wohl der erste.

(D´Addario schaut mich mit großen braunen Augen an) Ja, stimmt, du bist dann wohl der erste. Es geht bei uns nicht um Egos, oder wer worauf besonders stolz sein darf, sondern immer nur um das Beste für die Scheibe. So ist nun einmal unsere Geschichte!

Es gab also auch keinen externen Produzenten, der euch geholfen hat?

Hast du unsere beiden neuen Singles gehört?

Ja.

OK, ich finde, sie klingen sehr professionell. Deshalb denke ich, dass wir keinen Produzenten brauchen. Ich weiß selbst genau, was ich möchte. Wir haben noch nie wirklich hartnäckig um einen bestimmten Sound gekämpft, ohne dass wir ihn am Ende auch gefunden hätten. Abgesehen davon, dass es mir sehr viel Spaß macht, um diese Sounds zu kämpfen.

Verwundert bin ich, dass ihr bei eurem knappen Budget so hochwertige Videos wie etwa zu ‚As Long As We’re Together‘ drehen konntet.

Das Label hat sie bezahlt, es waren allerdings reine Low-Budget-Produktionen. Die Mutter meiner Ex-Freundin war die Regisseurin des Videos. Sie ist eine berühmte Filmproduzentin und Fotografin. Sie hat ihr Team zusammengerufen und uns einen großen Gefallen getan. Es gibt ja nicht unendlich viele Einstellungen in dem Video, sondern letztendlich immer die gleiche Perspektive.

Allerdings mit einem vermutlich sündenteuren Auto.

Das war natürlich nur gemietet. Das Video wurde in Kalifornien gedreht, wo es unzählig viele Lagerhallen mit wilden Klamotten, Film-Accessoires und so weiter gibt. Von dort stammte auch das Auto, das – wenn ich richtig informiert bin – in den Sechzigern bei ‚Star Trek‘ eingesetzt wurde. All diese Dinge waren sowieso ganz in der Nähe des Drehorts. Ich weiß es zwar nicht ganz sicher, aber ich glaube, sie waren nicht allzu teuer. Für Bands wie uns ist das ja typisch, dass man versucht, aus wenig Geld das bestmögliche Resultat zu generieren. Ich denke, die Grundvoraussetzung bei solchen Videos ist ein guter Geschmack, und den haben wir ganz offensichtlich.

Plus Songs, die ein großes audiovisuelles Potential haben. Liegt das auch an den Texten?

Ich glaube, es liegt mehr an der Musik als an den Inhalten. Es ist – im weitesten Sinne – Rock-Musik, aber eben mit einer ganz persönlichen Note. Die Texte sind eher sinnbildlich und erzählen weit weniger eine konkrete Geschichte. Auch wenn ich so etwas bei Balladen sehr gerne mag.

Michael, wie sehen deine Zukunftserwartungen aus? Welche Visionen hast du mit dieser Band? Strebst du nach dem größtmöglichen Erfolg oder eher nach dem perfekten Song?

Ich denke, keines von beiden trifft auf mich zu. Ich mag die Vorstellung nicht, nur deshalb touren zu müssen, um ein Album möglichst oft zu verkaufen. Ich bin nicht der Typ, der den Erwartungen anderer gerecht werden will.

Du hasst Druck?

Ja, ich mag Intensität, aber ich hasse Leistungsdruck. Ich bin 19, ich möchte noch viel lernen, aber mein Gehirn hat nur ein bestimmtes Fassungsvermögen. Ständig in Taxis und Flugzeugen zu sitzen ist für mich reine Zeitverschwendung. Ich bin gerne hier in Deutschland, aber ich merke, dass ich kaum etwas über andere Länder und Kulturen weiß.

Du konntest hier in Deutschland beim Haldern Pop also eine Menge lernen?

Nein, eben gerade nicht! (lacht) Mal schauen, was passiert, ich habe keine Ahnung. Weißt du, all diese Fragen: Wir sind nicht die verdammten Foo Fighters, die nur deshalb vor einer Million Leute spielen wollen, weil sie es können. Für mich gilt das nicht, ich finde so etwas seltsam, für mich ist das nichts.

Trotzdem danke für das Interview, und weiterhin alles Gute für dich!

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