Modernisiert

Vox AC30S1 im Test

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Vox AC30S1

Ein AC30 in meiner Hütte, oh wie schön. Von dem Thema kann ich gar nicht genug bekommen. Die Legende überhaupt in meinen Augen/Ohren. Wird aber auch allgemein als einer der musikalischsten Gitarren-Amps/Combos aller Zeiten betrachtet. Nicht nur in den Urversionen. Jetzt als S1-Modell auf das Wesentliche herunterkomprimiert zum „Freundschaftspreis“ zu haben. Mal sehen ob und inwieweit der Jungspund seinem UrUr-Opa das Wasser reichen kann.

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Ja, es ist nicht von der Hand zu weisen, die alten AC30 verbreiten tonal einen ganz besonderen Charme. Als ich sie vor langer Zeit für mich entdeckte, traf der Bazillus mit aller Härte. Und blieb. Ich besaß immer mehrere gleichzeitig, viele gingen durch meine Hände, wurden von mir gespielt, auch restauriert und repariert.

Also, was ich sagen will: Ich bin erklärter AC30-Enthusiast, weiß, wo ihre Schwächen, Tücken und Stärken liegen. Und vor allem, wie sie klingen, bzw. klingen müssen, wenn sie den ursprünglichen Ton nachzuahmen suchen. Armer AC30S1, ein strammes Sparring steht ihm bevor. Aber wer weiß, vielleicht setzt er sich locker durch.

Historisches

Der AC kam eigentlich zunächst als AC15 zur Welt. Der kleine 1×12″-15-Watt-Koffer wurde damals, Ende der 1950er-Jahre, von der Klientel sofort sehr positiv angenommen. Schnell riefen die Kollegen allerdings nach mehr Leistung/Lautstärke. Also verdoppelte der Schöpfer Dick Denney das Lottchen, machte aus zwei AC15 einen AC30. Der hatte dann drei Eingangssektionen: Vibrato, Normal und Brillant.

Alleine der Vibrato-Kanal verschlang drei Vorstufenröhren. Normal und Brillant teilten sich eine. Eine Klangregelung gab es nicht, lediglich den Cut-Regler, der hinter dem Phasentreiber Höhen kappen konnte. Das war ein Punkt, an dem die Kundschaft alsbald abermals Verbesserungen wünschte. So ersann Mr. Denney für den Normal-Channel ein Bass/Treble-Regelmodul, das zunächst als Nachrüstextra an der Rückwand montiert wurde, bevor es regulär an das Bedienfeld wanderte: der berühmte Top-Boost-Schaltkreis ward geboren.

Quintessenz

Die Vibrato-Sektion des früheren AC30 liefert schöne Modulationen (und lässt sich durch Modifikationen vielfältiger, variabler machen). Doch sie ist, wie oben beschrieben, technisch aufwendig. Es liegt von daher nahe, auf sie zu verzichten, wenn man kostenbewusst plant. Genau, der AC30S1 kommt ohne sie aus. Mehr noch, es ist wirklich nur der Top-Boost-Kanal vorhanden. Des Weiteren wurde das Konzept dadurch komprimiert, dass nur einer statt zwei 12″-Lautsprechern am Start ist (Vox VX12).

An anderer Stelle hat Vox wiederum Dinge nachgelegt, die es früher nicht gab. Es ist nämlich ein digitaler Halleffekt integriert und der Amp hat einen seriellen FX-Weg. Für die Handhabung bzw. Abstimmung des Combos dürfte die Konzeption mit Gain und Volume-Regler von Vorteil sein – werden wir ja gleich sehen.

Gain ist eigentlich nichts anderes als der Volume-Regler von früher, der vorne in der Endstufe den Signalpegel kontrolliert. Volume dagegen würde man sonst eher als (PPI-) Master-Volume bezeichnen (PPI: Post-Phase-Inverter-Master-Volume, eine beliebte Modifikation, nicht nur bei älteren AC30). Erst damit o. ä. wird es überhaupt möglich der Schaltung bei niedrigen Lautstärken Overdrive/Distortion zu entlocken.

Der primäre Signalweg basiert auf reiner Röhrentechnik. Eine 12AX7 arbeitet in der Vorstufe, eine zweite bildet die Phasentreiberstufe, die Endstufe ist natürlich ehedem mit vier EL84-Röhren bestückt (Kathodenbias). Der Reverb wird wie schon erwähnt digital erzeugt, im FX-Weg sorgt ein Halbleiter/IC für die korrekte elektrische Anpassung.

Die Bauweise des AC30 steht in der Tradition der Custom-Classic-Serie, d. h. sie ist jetzt schon langjährig erprobt und dürfte somit sowohl mechanisch wie auch elektrisch ausgereift sein. „Made in China“, Verkaufspreis unter € 800, es handelt sich folglich um ein Produkt, das rationell mit Platinen aufgebaut ist. Erfreulich zu sehen, dass sensible Schaltkreise intern mit Schmelzsicherungen geschützt sind und die Verkabelung über hochwertige Steckverbindungen erfolgt.

An der Qualität der Bauteile gibt es ebenfalls nichts zu meckern, wie auch insgesamt Substanz und Verarbeitung einen einwandfreien Eindruck machen. Jedoch mit einer Ausnahme, die ich in letzter Zeit immer wieder bei Testkandidaten sehe: Der Power- und der Standby-Schalter sind nicht ordentlich befestigt, es fehlen Federunterlegringe o. ä., die die Verschraubungen daran hindern, sich durch Vibrationen zu lösen. Bei unserem Testkandidaten waren sie bereits gelockert.

Übrigens ist der AC30S1 in der 230V Europaversion den jüngsten EG-Regularien entsprechend mit einer Auto-Power-Off-Funktion (Abschaltautomatik) ausgestattet. Die sich allerdings deaktivieren lässt.

Retro oder modern

Ja, die Spannung wächst, Mains „On“, ein Minütchen warten zum Anwärmen muss schon sein – mindestens – in der Zwischenzeit die Strat anlegen … Was uns wohl erwartet? Alter Vox-Ton oder ein „weichgespültes“ Derivat? Oder gar eine eigenständige Interpretation der Vorlage?

Na gut, fangen wir mal so an. Klischeehaft erwartet man ja, dass ein AC30 weit aufgedreht werden muss, damit man sich an seiner Röhrensättigung erfreuen kann. Dem ist hier nicht so. Schon in vollkommen erträglicher Zimmerlautstärke ist dank der Gain-/Volume-Regelung satter Overdrive erreichbar. Noch nicht in der maximalen Tonqualität, also schon verschlankt, aber tragfähig und so, dass man Spaß am Spielen hat/bekommt. Jedenfalls deutet sich hier schon an, dass der AC30S1 gut bei Stimme ist. Was sage ich, tatsächlich ist er sehr gut bei Stimme.

Womit wir zur Kernerkenntnis kommen: Der Combo reckt sich erfolgreich nach den Tugenden seines Urvaters. Nicht mit der maximalen Tonkultur, letztlich jedoch frappierend in seiner Qualität. Alles da, was man sich wünscht. Und mehr. Die glitzernde Brillanz, das nasale Timbre in den Hochmitten, oder dunkle voluminöse Tonfarben – je nach Einstellung der sehr wirkungsvoll interaktiv arbeitenden Klangregelung.

Das sehr filigrane Hineingleiten in Overdrive bzw. das Changieren zwischen fast noch cleanen und fein sättigenden Einstellungen. Zudem das sehr harmonische Verzerren, das von den alten AC30 ja geradezu exemplarisch dargestellt wird.

Diese wirklich sehr überzeugenden Sound-Ergebnisse sind unter anderem auch ein Lob für den Speaker, der ja an sich ein Economy-Modell ist. Auch wenn er den betörenden Charme eines Blue-/Silver-Bulldog, diese warmen glockigen Höhen, nicht abbilden kann.

„Alles da, was man sich wünscht. Und mehr“ sagte ich gerade. Das „mehr“ bezieht sich auf das erweiterte Konzept. Der qualitativ ansprechende, in allen Betriebssituationen gesund arbeitende Hall ist eine erhebliche Bereicherung im Kontext des AC30-Sounds. Der Effekt simuliert einen großen Raum mit recht langer Ausklingzeit und mehreren diffusen Reflexionen. Den Regelweg des Potis sollte Vox allerdings noch optimieren. Der Effektanteil könnte sich im unteren Bereich besser dosieren lassen.

Noch wertvoller ist in der Praxis der Einschleifweg. Sein Pegelniveau liegt hoch, aber er funktioniert problemlos, schränkt weder Sound noch Bedienung ein. Sinnvollerweise liegt der FX-Weg vor dem Reverb.

Resümee

Hartes Brot, wenn man in die übergroßen Fußstapfen einer Legende tritt. Doch der AC30S1 meistert die Aufgabe gekonnt. Wenngleich ihm das letzte Quantum Spritzigkeit und Retro-Eleganz fehlt, schwingt er sich tonal zu souveränen Leistungen auf. Weil es ihm gelingt, das Charisma seiner Ahnen ziemlich authentisch zu replizieren.

Dazu gesellen sich willkommene Extras, das elegant funktionierende Master-Volume, der Hall und der FX-Weg, die den Gebrauchswert der „antiken“ Schaltung erheblich steigern. Bleibt eigentlich nur ein Wunsch offen: Ein Fußschalteranschluss für den Hall. Doch auch ohne den ist das Preis-Leistungs-Verhältnis des AC30S1 absolut gesund, tendenziell günstig. Unbedingt empfehlenswert.

PLUS
• Sound, sehr markante und typische Klangfarben
• sehr harmonische Verzerrungen
• Dynamik/Transparenz
• Qualität des Halleffekts
• Master-Volume u. FX-Weg
• Verarbeitung/Qualität der Bauteile

MINUS
• Reverb-Schaltmöglichkeit fehlt
• Power und Standby-Schalter nicht optimal montiert


Hinweise zu den Soundfiles

Für die Aufnahmen kam ein SM57 von Shure platziert direkt vor dem Speaker zum Einsatz sowie weiter entfernt als Raummikro ein Kondensatormikrofon mit Großflächenmembran, Typ C414 von AKG. Es überwiegt in den Clips der Raumklang! (Anders wäre der Charkter des AC30S1 nicht/kaum zu hören).

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei, außer im Clip 7, wo wir den internen Hall des AC30S1 hören.

Das Instrument ist eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg).

Ich wünsche viel Vergnügen, und…, wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! ;-).

Fragen, Anregungen und ja, auch Kritik sind wie immer stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de. Es klappt nicht immer, aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

Text + Musik: Ebo Wagner (GEMA)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Na, das ist ja ein gutes Beispiel, wie man es machen kann: den persönlichen Eindruck beschreiben und dann mit allen Angaben über Gitarre und Aufnahme-Equipment hören lassen. Bravo! Gruß und Blues Fritzrabe

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  2. Danke für den schönen Test, Ebo, und ein gutes neues Jahr 2019! Hat mich an früher – an viel früher – erinnert.

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